Vortrag
Freitag, 13.7.2007, 16:45h

Paul Ziche

Kleine poetische Blumen pflücken. Große philosophische Theorie in metaphorischer Verdichtung

Als kleine poetische Blumen bezeichnet Jean Paul, in eindeutig metaphorischer Absicht, die Metaphern. Damit stellt er sich als Realist gegen idealistische Philosophen und idealistisch beeinflusste Autoren, für die Metaphern – und gerade die Metapher der Blume: Man denke nur an die blaue Blume bei Novalis – wie alles Poetische überhaupt nicht im Diminutiv behandelt werden können. Die rhetorische Figur der Metapher erweist sich als engstens mit theoretischen Grundlagen idealistischen Denkens verbunden: Es gehört zum Wesen der Metapher, im Modus strikter – und ultimativ komprimierter – Identität zu sprechen, also statt des ausgeführten Vergleichs oder der umfänglichen Beschreibung prägnante Aussagen vom Typ „A ist B“ bzw. noch knappere Ausdrucksweisen wie das bei Hegel so zentrale „Leben des Begriffs“ zu verwenden. In drei Schritten, illustriert durch signifikante Beispiele, sollen hieraus Elemente der (Wechsel-)Beziehung von Philosophie und Metaphern gewonnen werden:
(1) Identität ist zentrales Thema idealistischer Philosophie, die damit in fruchtbarer Weise anhand von Metaphern entschlüsselt werden kann. Für die Theorie der Metapher ergibt sich aber hieraus eine ihrerseits fruchtbar weiterführende Schwierigkeit: Identität ist eine symmetrische Relation und deshalb umkehrbar. Gilt das auch für die Beziehung zwischen Metapher und metaphorisch Bezeichnetem? Bei Hegel finden sich prominente Beispiele, dass ihm tatsächlich an einer solchen Umkehrbarkeit gelegen war, in der beispielsweise sowohl vom „Leben“ des Begriffs als auch – in der umgekehrten metaphorischen Übertragung von der Logik auf die Biologie – von der „Widersprüchlichkeit“ der Blüte gesprochen werden kann. Hieraus folgt, dass sich anhand des Phänomens der Metapher die Ebenen eines eigentlichen und eines uneigentlichen Sprechens nicht mehr scharf trennen lassen. Metaphorische Sprachphänomene übernehmen in einer solchen Verbindung unterschiedlicher Ebenen mehr als nur illustrative Funktion; aus der Durchdringung von eigentlicher und uneigentlicher Sprachebene ergeben sich gewichtige philosophische Mittel, um eine Separation der Ebenen von Konkretheit und Abstraktheit zu überwinden. Die Metaphernverwendung in philosophischen Texten berührt sich damit in aufschlussreicher Weise mit derjenigen in hermetischer Lyrik, wo programmatisch jede Trennung der metaphorischen und der ‚eigentlichen’ Sprachebenen aufgehoben wird.
(2) Lassen sich diese Überlegungen zur Rolle von Metaphern in philosophischen Texten übertragen auf die Funktion metaphorischen Sprechens in anderen Gattungen typisch diskursiven Denkens wie den Naturwissenschaften? Am Exempel des Begriffs der „Schwelle“ wird ein Terminus vorgestellt, der um 1850 sehr gezielt in der Physiologie und Psychologie eingeführt wird, um Phänomene eines kontinuierlichen Übergangs – etwa zwischen unbemerkten und bewusst registrierten äußeren Reizen – mit derjenigen Dynamik aufzuladen, die solche Übergänge philosophisch interessant und verwertbar machten. Anhand dieses Beispiels lässt sich nach den naturwissenschaftlich und philosophisch signifikanten Veränderungen fragen, die ein solcher in den Naturwissenschaften metaphorisch verwendeter Terminus induziert.
(3) Drittens schließlich kann in Form eines Ausblicks gefragt werden, in welcher Weise die Philosophie nicht nur Metaphern verwendet, sondern selbst zur Metapher werden kann. Philosophie stellt ein gewichtiges Thema in einer Darstellungsform dar, die sich sicher nicht der Mittel der traditionellen philosophischen Argumentation bedient: in Literatur und Filmen des Science-Fiction-Genres. Themen der Philosophie des Geistes werden hier immer wieder in geradezu experimentellen Szenarien durchgespielt. Werden hier, so kann man fragen, die Ebenen von Darstellung und eigentlich Darzustellendem nicht eigentlich in einer Weise zusammengeführt, die unmittelbar an die erörterten Strukturen des Metaphorischen erinnert, sodass in diesen Genres Philosophie selbst (bzw. einzelne philosophische Überlegungen) metaphorisch eingesetzt wird? In der metapherntypischen Umkehr würden dann diese philosophischen Überlegungen umgekehrt, im fiktiven Szenario, zur Diskussion gestellt werden. Stellen diese Genres damit nicht ein Reservoir dar, das auch eine (Fach-)Philosophie nutzen kann? Die Rolle von Philosophie nähert sich in solchen Fällen philosophisch-künstlerischer Wechseldurchdringung damit an diejenige von Gedankenexperimenten in den Naturwissenschaften an.

Paul Ziche studierte Philosophie, Physik und Psychologie in München und Oxford und promovierte 1995 mit einer Arbeit über Mathematische und naturwissenschaftliche Modelle in der Philosophie Schellings und Hegels. Danach war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und seit 2001 Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Kommission zur Herausgabe der Schriften von Schelling an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München, sowie seit seiner Habilitation 2003 Privatdozent am Philosophie-Department der Ludwig-Maximilians-Universität München. Wichtige Publikationen u.a.: Mathematische und naturwissenschaftliche Modelle in der Philosophie Schellings und Hegels, 1996; Monismus um 1900. Wissenschaftskultur und Weltanschauung, 2000; Wissenschaftslandschaften um 1900. Philosophie, die Wissenschaften und der ‚nicht-reduktive Szientismus’ (erscheint 2007).