Vortrag
Dienstag, 22.4.2008, 19h

Ruth Leys

Professor of History and Humanities; Director of the Humanities Center, The Johns Hopkins University, Baltimore; z.Zt. Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin

History of Emotions. Theory and Practice from Guilt to Shame

Gesprächsleitung: Prof. Dr. Ute Frevert, Berlin

Viele Holocaust-Überlebende haben erzählt, sie würden sich schuldig fühlen, weil sie überlebt haben, während viele andere sterben mussten. In den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts haben amerikanische Psychoanalytiker und Psychiater sogar das Schuldgefühl der Überlebenden zu einem definitorischen Merkmal des Überlebendensyndroms gemacht. Die Idee eines Schuldgefühls der Überlebenden ist allerdings immer auch als problematisch empfunden worden, vor allem weil es zu implizieren scheint, dass die Überlebenden, indem sie sich unbewusst mit dem Täter identifizieren, psychisch im geheimen Einverständnis mit der Macht stünden. Ruth Leys wird die Wandlungen im Konzept der Überlebendenschuld und die Bedeutung der folgen-schweren, wenn auch weithin unbemerkten Ersetzung von Schuld durch Scham skizzieren. Sie wird die theoretische und empirische Gültigkeit der Schamtheorien, wie sie von einigen Wissenschaftlern und Philosophen wie etwa Silvan Tomkins, Eve Sedgwick oder Giorgio Agamben vorgeschlagen worden sind, in Frage stellen. Während der Begriff des Schuldgefühls von Überlebenden auf intentionalistischen Voraussetzungen beruht, teilen die Schamtheoretiker eine problematische Überzeugung, bei der die Emotionen, einschließlich der Scham, mit einer nicht intentionalistischen und materialistischen Begrifflichkeit interpretiert werden.

Veranstaltung in englischer Sprache