Vortrag
Montag, 9.1.2012, 19h

Kirill Levinson

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Allgemeine Geschichte, Russische Akademie der Wissenschaften, Moskau

Die soziale Konstruktion des Rechtschreibfehlers. Wie fehlerfreies Schreiben zum Kriterium für Bildung und Intelligenz wurde

Gesprächsleitung: Prof. Dr. Jürgen Trabant, Berlin

Rechtschreibung und Rechtschreibfehler als gesellschaftliche und kulturelle Phänomene sind nicht etwa von der Natur der Sprache oder der Schreibenden bestimmt. Sie verdanken ihre Existenz und ihre Ausprägung dem Wirken durchaus bestimmbarer gesellschaftlicher Kräfte. Das Wesen des Rechtschreibfehlers und die Bedeutsamkeit des fehlerhaften oder -freien Schreibens sind nicht universell und zeitlos: Es sind historisch gewordene und in bestimmten kulturellen Kontexten verwurzelte Phänomene, die eine Evolution durchmachen. Diese Evolution kann durch die historische Forschung nachverfolgt werden. Im Vortrag wird am Beispiel Deutschlands die unterschiedliche Rolle von politischen, sozialen und anderen außersprachlichen Faktoren in der Herausbildung von Norm- und Devianzvorstellungen in Bezug auf die Rechtschreibung im 19. und 20. Jahrhundert aufgezeigt.

Kirill Levinson, geb. 1971 in Moskau, Studium der Geschichte an der Lomonosov-Universität Moskau mit dem Schwerpunkt deutsche Geschichte des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Seit 1994 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Allgemeine Geschichte der Russischen Akademie der Wissenschaften, Forschungszentrum für historische und Kulturanthropologie. Promotion 1999 mit einer Dissertation über Beamte in Städten des Reiches im 16. und 17. Jh (deutsche Ausgabe 2004). Mehrere Forschungsaufenthalte in Deutschland und Österreich zwischen 1993 und 2011. Parallel tätig als Lehrer für deutsche Sprache und Landeskunde an mehreren Universitäten und Hochschulen in Moskau sowie als Übersetzer. Sein derzeitiger Forschungsschwerpunkt ist die Sozial- und Kulturgeschichte der Schrift im deutschen Sprachraum.