Lecture
Friday, May 29, 2015, 5:30 PM

Annette Geiger

Die Diva im Säulenkleid. Mode und Gefühlsarchitektur im Kino der 1930er Jahre

Seit dem 18. Jahrhundert bezeichnet der Begriff der Diva nicht nur die Göttinnen der Antike, sondern auch Stars der Bühne, später auch des Films. Ihre Vorbildfunktion bezieht sich nicht nur auf die herausragende künstlerische Leistung, sondern auch auf eine spezifisch weibliche Rolle als Heldin. Insbesondere im Hollywood-Kino der 1930er-Jahre erfährt dieser Plot eine Zuspitzung: Die Geschichten aus der Traumfabrik erweisen sich als weitaus relevanter für das Alltagsleben der Zuschauerinnen als man gemeinhin annimmt. Während die femme fatale ein aus männlicher Sicht konstruiertes Wesen ist, kann die Diva als eine für die weibliche Sicht erdachte Identifikationsfigur beschrieben werden.
Die Heldin dieser Dekade wird allem voran über ihre Kostümierung charakterisiert: Für die Diven gilt ein Dresscode, der sie in wandelnde Säulen verwandelt. Als schmalen Silhouetten bilden sie Karyatiden in Samt und Seide, der Faltenwurf gleicht einer Kannelierung und der Pelzkragen umschmeichelt das Gesicht wie die Volute das Kapitell. Diese Säulenform lässt sich auf Negligés und Abendkleider ebenso gut anwenden wie auf das alltagstaugliche Schlauch- bzw. Etuikleid. Über die Ikonografie des Säulenkleides sei gezeigt, wie die Hollywood-Heldin in ihrer Tugend und Opferbereitschaft zu einer Art weiblichem Übermenschen erhoben wird.

Annette Geiger ist Professorin für Theorie und Geschichte der Gestaltung an der Hochschule für Künste Bremen. Sie studierte Kunst-, Kultur- und Kommunikationswissenschaften in Berlin, Grenoble und Paris. Ihre Promotion Urbild und fotografischer Blick zur Ästhetik und Bildtheorie im 18. Jahrhundert schloss sie am Kunsthistorischen Institut der Universität Stuttgart ab. Seither lehrte sie Design- und Kulturgeschichte am Institut supérieur des arts appliqués in Paris, an der Universität der Künste Berlin und an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Sie hatte die Wella-Stiftungsprofessur für Mode und Ästhetik an der TU-Darmstadt inne. Ausgewählte Veröffentlichungen: Urbild und fotografischer Blick. Diderot, Chardin und die Vorgeschichte der Fotografie in der Malerei des 18. Jahrhunderts (2004); Der schöne Körper. Mode und Kosmetik in Kunst und Gesellschaft 
(Hg., 2008); Coolness. Zur Ästhetik einer kulturellen Strategie und Attitüde 
(Mit-Hg. 2010); Kunst und Design. Eine Affäre (Mit-Hg. 2012).