Vortrag
Dienstag, 11.11.2014, 19h

Nicolas de Warren

Professor für Philosophie, Husserl Archiv, Katholische Universität Leuven

1914–1945. Philosophie und der zweite Dreißigjährige Krieg

Gesprächsleitung: Prof. Dr. Susan Neiman, Potsdam

Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs setzte auch bei den Philosophen in ganz Europa eine – wie Kurt Flasch es scharfsinnig genannt hat – geistige Mobilmachung ein. Die philosophische Beteiligung an diesem „letzten aller Kriege“ („the war to end all wars“) offenbart nicht nur die Philosophie während des Krieges, sondern auch einen Krieg der Philosophen: Der eigene Diskurs wurde zur Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln verklärt. Gleichzeitig wurde der Krieg auch zum Anlass für philosophisches Denken mit anderen Mitteln. Vor diesem Hintergrund wird der Vortrag Heideggers Überlegungen in den Schwarzen Heften untersuchen und vor allem im Hinblick auf Husserl, Cohen und Scheler verorten. Die Aufzeichnungen in Heideggers privaten Notizbüchern wiederholen – so die These – ein klassisches Denkmuster, das sich in der Kriegsphilosophie von 1914–1918 herauskristallisiert hatte, allerdings eines, das durch eine idiosynkratische Konzeption des „seinsgeschichtlichen Denkens“ rekonfiguriert ist. Heideggers Denken ist aber keineswegs nur durch die geistige Situation des Ersten Weltkriegs geprägt – auch nicht von ihr „traumatisiert“, vielmehr lässt sich in der Entwicklung der Deutschen Philosophie und ihrer geokonzeptuellen Selbstverortung als „mitteleuropäische“ eine weitaus komplexere Situation beobachten: nämlich die eines Zweiten Dreißigjährigen Krieges. Das zeigt sich auch in der berühmten Davoser Disputation zwischen Heidegger und Cassirer, die als ein Konflikt der Ideen von 1914 mit jenen von 1789 interpretiert werden kann.

Nicolas de Warren ist Professor für Philosophie und Direktor des Center for Phenomenology and Continental Philosophy / Husserl Archiv am Institut für Philosophie der Katholischen Universität Leuven, Belgien. Er ist Autor zahlreicher Publikationen, einschließlich eines kürzlich erschienenen Sammelbandes mit Essays zum Neokantianismus (bei Cambridge University Press), einem Artikel zu „L‘impardonnable chez Jankélévitch“ (Archives de Philosophie) und einer Übersetzung des Briefwechsels zwischen Krzysztof Michalski und Jan Patočka (The New Yearbook for Phenomenology and Phenomenological Philosophy). Zurzeit arbeitet er an einem Buch über „Das Unverzeihliche“ / „Das Unvergebbare“.