Workshop
Thursday, Jun 16, 2011, 3 PM – 8 PM

IM „Vorwurf“

Auch 22 Jahre nach der friedlichen Revolution in Ostdeutschland ist der mit dem Begriff „Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit“ verbundene Vorwurf allgegenwärtig. Doch was damit im Einzelnen gemeint ist, bleibt oft verschwommen. Das Erregungspotential, das die Entlarvung eines Stasi-Informanten bis heute birgt, hat ein differenziertes Bild der Tätigkeit und des Umgangs mit der damit verbundenen Schuld eher behindert als befördert. Der Workshop IM „Vorwurf“ versucht, einen unvoreingenommenen Blick auf das Phänomen der „Inoffiziellen Mitarbeit“ und ihrer Aufarbeitung zu werfen. Dabei sollen alle Phasen der Tätigkeit untersucht werden: von der Rekrutierung durch das Ministerium für Staatssicherheit über die verschiedenen Formen der Tätigkeit selbst bis hin zur individuellen wie kollektiven Aufarbeitung des damit verbundenen Unrechts. So vielfältig die Motive des Einzelnen waren – von politischer Überzeugung über das Streben nach Vergünstigungen bis hin zum verzweifelten Nachgeben auf den erpresserischen Druck der Stasi-Offiziere – so unterschiedlich waren auch die Formen und Ergebnisse der Tätigkeit – von der sogenannten Objektsicherung bis zur psychologischen Zersetzung, von belanglosen Berichten über Alltäglichkeiten bis zur folgenschweren Denunziation. Zwei Jahrzehnte nach dem Ende des SED-Regimes gehört schließlich auch der individuelle Umgang mit der Vergangenheit zur Geschichte der Aufarbeitung. Wie erklären, rechtfertigen oder bedauern frühere Inoffizielle Mitarbeiter ihre Tätigkeit? Macht es hierbei einen Unterschied, ob dies aus eigenem Antrieb erfolgte oder damit erst bei drohender Entlarvung begonnen wurde? Wie einleuchtend sind die Erklärungsversuche gerade derjenigen, die das Ministerium für Staatssicherheit aus politischer Überzeugung unterstützt haben, und wie – wenn überhaupt – wird hier der Prozess des Umdenkens seit 1989 dargestellt?
Allein die intensive Beschäftigung mit diesen detaillierten Fragestellungen erlaubt es, vom pauschalen Vorwurf zum differenzierten Verständnis zu gelangen. Mit der Differenzierung wird die moralische Bewertung einer Inoffiziellen Stasi-Mitarbeit nicht etwa aufgegeben, sondern in ihrer Urteilskraft geschärft.
 
Teilnehmer: André Brie, Schwerin; Franziska Groszer, Berlin; Ilko-Sascha Kowalczuk, Berlin; Ulrike Poppe, Potsdam; Gesine Schwan, Berlin

Eine Gemeinschaftsveranstaltung mit der Beauftragten des Landes Brandenburg für die Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur