Lecture
Friday, Jan 28, 2011, 5:30 PM

Haci Halil Uslucan

Zwischen Berlin und Istanbul. Der Stolz in seiner interkulturellen und intergenerationalen Dimension

Die psychologisch ausgerichtete Emotionsforschung zeigt, dass sowohl das Erleben und der Ausdruck als auch die Regulation von Emotionen von verschiedenen kulturellen Parametern beeinflusst werden, die ihrerseits innerkulturellen Varianzen und historischen Schwankungen unterliegen. Ein Großteil bisheriger kulturvergleichender Studien fokussiert hierbei auf den Vergleich amerikanischer und asiatischer Kulturen. Studien, die das »emotionale interkulturelle Zusammenleben« in Deutschland untersuchen, so etwa bei Begegnungen von Einheimischen und Migranten, sind jedoch rar. Dabei ist gerade ein Verständnis kultureller Differenzen hinsichtlich der Bewertung, des Ausdrucks und der Regulation von Emotionen für lebensweltliche und wissenschaftliche Fragen höchst innovativ. Denn ein adäquates Verständnis der Emotionen des Anderen reduziert die Vielzahl der potenziell denkbaren Interaktionsfolgen und macht Individuen in sozialen Kontexten handlungsfähig. Insofern werden im Vortrag interkulturelle und intergenerationale Differenzen am Beispiel des Stolzes aufgezeigt; die Stichproben rekrutieren sich aus deutschen Eltern-Kind-Dyaden aus Berlin, türkische Eltern-Kind-Dyaden aus Istanbul sowie Eltern-Kind-Dyaden mit türkischem Migrationshintergrund in Berlin. Für emotionspsychologische Fragestellungen ist ein deutsch-türkischer Kulturvergleich des Stolzes insofern interessant, als dass die Türkei oft den Gesellschaften zugerechnet wird, in denen sowohl Scham als auch Stolz kulturell stark betont werden und in sozialen Interaktionen eine bedeutsame Rolle spielen, während sie in Deutschland eher zu den »emotions of low visibility« zählen, die kulturell nicht besonders elaboriert und im sozialen Verhalten nur von untergeordneter Bedeutung sind. Vor diesem Hintergrund wird auch erörtert, inwiefern eine »emotionale Akkulturation« bzw. »emotionale Anpassung« türkischer Migranten an Einheimische zu beobachten ist.

Haci Halil Uslucan studierte von 1985 bis 1991 Psychologie und von 1991 bis 1997 Philosophie und Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Seine Diplomarbeit am Psychologischen Institut der FU Berlin schrieb er zum Thema Die Sozialpsychologie George Herbert Meads. 1999 wurde er dort zum Thema Handlung und Erkenntnis bei John Dewey und Jean Piaget in Psychologie promoviert. Von Oktober 2000 an war er wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie. 2006 erfolgte seine Habilitation an der Otto-von-Guericke Universität Magdeburg mit dem Thema Jugendliche Gewalt und familiale Erziehung in inter- und intrakulturellen Kontexten. Nach Gast- und Vertretungsprofessuren in Potsdam, Hamburg und Wien ist Uslucan seit 2010 wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung sowie Professor für Moderne Türkeistudien an der Universität Duisburg-Essen. Zu seinen Publikationen gehören: Türkische Kolumnen. Selbst- und Fremdbild in der türkischen Presse in Deutschland (2002); Erziehung in muslimischen Migrantenfamilien (2010); Islamischer Religionsunterricht in Grundschulen. Perspektiven der Schüler, der Eltern und der Lehrkräfte (2010).