Ulrike Ottingers Reisefilme als Kalligramme


Vortrag
Freitag, 9.12.2022, 15:00h

Tanja Zimmermann

Ulrike Ottingers Reisefilme als Kalligramme

Der autobiografische Dokumentarfilm Paris Calligrammes (2019) ist nicht nur ein persönlicher Rückblick Ulrike Ottingers auf ihre Pariser Lehrzeit in den 1960er Jahren. Darüber hinaus kann er als das filmische Manifest ihrer Reisefilme betrachtet werden. Gedreht wurde er »aus der Perspektive einer sehr jungen Künstlerin, an die ich mich erinnere, mit der Erfahrung einer älteren Künstlerin, die ich heute bin«. Gleich zweimal folgt man ihr in die französische Hauptstadt — einmal im medialen Material aus der Zeit des ersten Aufenthalts und ein weiteres Mal in Aufzeichnungen von ihrer Rückkehr an die Orte privater und kollektiver Erinnerung. Der Auftakt ihrer Entdeckung der impulsgebenden Kulturstadt im Jahre 1962 ist die Librairie Calligrammes, benannt nach Apollinaires Bildgedichten, die einem ausgewanderten deutsch-jüdischen Buchhändler gehörte. Das Kalligramm verlangt danach, als Text ebenso wie als Bild wahrgenommen zu werden – für Ottinger blieb es Programm. In dem Antiquariat wurden nicht nur deutsche und französische Bücher verkauft, es war auch ein wichtiger Treffpunkt deutscher und französischer Intellektueller, Schriftsteller:innen und Künstler:innen verschiedener Generationen. Ausgehend von dieser Urszene einer Begegnung über kulturelle Grenzen hinweg werden Ottingers multimediale Reisefilme, -ausstellungen und -bücher daraufhin befragt, wie sie in ihnen Sprachbilder und Bildtexte miteinander verwebt und in der Begegnung mit Fremdem auch ihre eigene Perspektive erschließt.

Tanja Zimmermann ist seit 2014 Professorin für Kunstgeschichte mit einem Schwerpunkt in der Kunst Ost-, Ostmittel-, und Südosteuropas und ihren inter-kulturellen Beziehungen an der Universität Leipzig. 2001–2004 war sie Wissenschaftliche Angestellte am DFG-Projekt »Das System der Intermedialität in der russischen Moderne« am Institut für Slawische Philologie der LMU in München, 2004–2009 Wissenschaftliche Assistentin in Slawistischer Literaturwissenschaft an der Universität Erfurt und 2009–2014 Juniorprofessorin für Slawische Literaturen und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität Konstanz. Ausgewählte Publikationen: Geschichte und Mythos in Comics und Graphic Novels (Hg. 2019); Brüderlichkeit und Bruderzwist. Mediale Inszenierung des Aufbaus und Niedergangs politischer Gemeinschaften in Ost- und Südosteuropa (2014); Der Balkan zwischen Ost und West. Mediale Bilder und kulturpolitische Prägungen (2014).