Omri Boehm
The Singularity Thesis and German National Identity
Um die aktuellen Kontroversen über die Einzigartigkeit des Holocaust zu verstehen, ist es notwendig die ursprüngliche Debatte aus den 1980er Jahren heranzuziehen. Entgegen der landläufigen Auffassung ging es bei dem „Historikerstreit“ nicht um die Frage nach der Einzigartigkeit des Holocaust, sondern um die Frage nach der deutschen nationalen Identität. Auschwitz als singuläres Verbrechen zu begreifen, war für Habermas et al. notwendig, um eine Rehabilitierung des deutschen Nationalbewusstseins als Ursprung für politische Normen zu verhindern. Dem setzten sie einen Verfassungspatriotismus entgegen. Boehm untersucht den BDS-Beschluss des Bundestages, das Verhältnis der Bundesregierung zum Internationalen Strafgerichtshof und den Umgang mit Amnesty International nach dem Apartheitsbericht. Er argumentiert, dass die Singularitätsthese vereinnahmt wurde, um zu verteidigen, was sie ursprünglich ablehnte: sie rehabilitiert das deutsche Nationalbewusstsein auf Kosten des Verfassungspatriotismus.
Omri Boehm ist Professor und Vorsitzender des Fachbereichs Philosophie an der New School for Social Research. Seine Essays sind unter anderem in Die Zeit, The New York Times, Washington Post und Haaretz erschienen. Zu seinen Veröffentlichungen gehören Kant’s Critique of Spinoza (2014) und Israel – eine Utopie (2020).