Vortrag
Mittwoch, 23.2.2011, 21h

Kristof Schreuf

Protestsongs und der Hass auf Musik

Der Protestsong ist nie vor ein für ihn zuständiges Gericht gestellt worden. Das muss nachgeholt werden. Die Anklage lautet: Der Protestsong lenkt von der Musik ab. Er schafft das, indem er sich als Zumutung aufspielt. Mit dieser Masche erzwingt sich der Protestsong immer wieder ein Publikum. Die Zumutung kommt mit einer solchen Vehemenz auf Hörerinnen und Hörer zu, dass die sich ihr nur noch unterordnen können. Über das zwanzigste Jahrhundert hat sich der Protestsong aber nicht nur als Zumutung, sondern allmählich auch als sentimentale Zumutung aufgespielt. Seitdem ist es noch schwerer geworden, den Protestsong anzufechten. Dafür wurde deutlich, wie wenig der Protestsong von Musik hält. Er kommt nicht ohne sie aus, führt sich aber auf, als wäre sie seine unwichtigste Zutat. Das kommt daher, dass der Protestsong neidisch auf die Musik ist. Der Protestsong hasst Musik. Er würde sie gerne beseitigen. Da das aber nicht geht, will er wenigstens, wie gesagt, von ihr ablenken. Gibt es für die Musik und den Protestsong eine Möglichkeit, neu miteinander anzufangen?

Kristof Schreuf war Sänger und Texter von Kolossale Jugend, einer der Ausnahmebands der sogenannten Hamburger Schule. Seit den 90er Jahren schreibt er für diverse Zeitschriften, z.B. Spex, TAZ und Junge Welt. Nach dem Ende von Kolossale Jugend gründete Schreuf 1995 die Band Brüllen. Mit ihnen hat er ein Album veröffentlicht und arbeitet seit einiger Zeit an einem neuen. 2003 wurde er von Iris Radisch für den Bachmannpreis vorgeschlagen. Er las den Text „Wahrheit ist das wovon Männer gerne behaupten, dass es ihnen um sie geht.“ Er schreibt an dem Buch Anfänger beim Rocken, das in der „Edition Suhrkamp“ erscheinen soll. Seine erste Soloplatte Bourgeois With Guitar erschien im Frühjahr 2010.