Christa Ebert
Poesie gegen die Angst. Die Dichtung von Anna Achmatova und Ossip Mandelstam in der Zeit des Terrors
»Im Zimmer des verbannten Dichters tun schichtweis Angst und Muse Dienst.« Was Anna Achmatova nach dem Besuch bei ihrem Dichter-Freund Mandelstam
in Woronesh im März 1936 in Verse fasst, beschreibt die Existenz des Dichters in totalitären Regimen. Das Schreiben unter den Bedingungen politischen Terrors, in dem die Furcht zum »beherrschenden Affekt« (H. Arendt), zugleich aber als Thema tabuisiert wird, folgt eigenen Gesetzen. Bereits das Benennen der Symptome von Angst und Schrecken kommt einem Tabubruch gleich und wird als Angriff auf die politische Ordnung geahndet. Das belegt eindrucksvoll die Dichtung von Mandelstam und Achmatova in der Zeit des Stalinismus. Beide wurden vom Akmeismus, einer hermetischen, dem Parnasse vergleichbaren Poesieströmung der vorrevolutionären Moderne in Russland, geprägt, und obwohl sie ihre Dichtung nach der Revolution dem »Rauschen der Zeit« (Mandelstam) öffneten, widersetzten sie sich dem politischen Zugriff auf die Kunst durch die politische Klasse. In den dreißiger Jahren werden die eines volksfernen Ästhetizismus bezichtigten Dichter zu Repräsentanten der kollektiven Angsterfahrung; sie machen das stumme Leiden des Volkes namhaft und korrigieren damit das offiziell in einem populären Lied vermittelte Selbstbild der Sowjetunion als dem Land, »wo der Mensch freier als anderswo atmen kann«. Und doch war es das akmeistische Credo – Mitarbeit am kulturellen Weltgedächtnis –, das sie befähigte, der politisch erzeugten Angst literarisch zu begegnen. Mandelstams Stalingedicht, das zu seiner Verhaftung führte, seine Woronesher Gedichte sowie Achmatovas »Requiem« bilden das Textkorpus der Betrachtung.
Christa Ebert studierte Slawistik und Romanistik in Berlin und Rostow am Don; Promotion 1977 in Berlin, Habilitation über den russischen Symbolismus 1990 ebenfalls in Berlin. Sie arbeitete zunächst an der Akademie der Wissenschaften der DDR, dann am Forschungsschwerpunkt Literaturwissenschaft, Berlin. Seit 1994 ist sie Professorin für Literaturwissenschaft und osteuropäische Literaturen an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder. Forschungsaufenthalte in Moskau, Leningrad, Prag und New York.
Ausgewählte neuere Publikationen: Sinaida Hippius, Seltsame Nähe. Ein Porträt (2004); Die Seele hat kein Geschlecht. Studien zum Genderdiskurs in der russischen Kultur (2004); Mit-Hg. in der Reihe Ost-West Diskurse: Bd. 1: Vom Berliner »Flohmarktidyll« zum »Labyrinth aus Bretterbuden«. Polenbilder im deutschen Pressediskurs (1989–1997) (1999); Bd. 3: Feminismus in Osteuropa? Bilder – Rollen – Aktivitäten (2003); Bd. 4: Literatur und soziale Erfahrung am Ausgang des 20. Jahrhunderts (2003); Bd. 5: Nation und Geschlecht – Wechselspiel der Identitätskonstrukte (2004)