Vortrag
Samstag, 17.12.2016, 12h

Siegfried Saerberg

Soziologe und Publizist, Wiehl

Nachtwanderungen in den lichten Landen: Eine blinde Ethnographie alltäglichen Sehens

Nennen wir meine nächtliche Expedition eine Art Anthropologie von einem anderen Stern her, gewissermaßen, die aus ihrer Distanz heraus das Normale erkundet. Ihr Forschungsgegenstand ist der gelebte Alltag ihrer Fluchtpunkte, dessen, was andere „Dominanzkultur“ nennen, was sie aus ihrer Perspektive „die Lande des Lichts“ nennt. Und das ist ein eigensinniger Schachzug gegen die Dominanz: Denn dann dämmert da auf einmal also im angeblich hellwachen Bewusstsein eine Dunkelheit, eine Anderssichtigkeit oder Vielsichtigkeit, eine Vieldeutigkeit, eine Andersdeutigkeit empor oder hinab. Sie mag die Plausibilität und Selbstverständlichkeit des Lichts brechen, die Aussichtslosigkeit der Nacht irritieren. Zeigen sie doch idealerweise die Narreteien des Verstands und die Weisheit der Blindheiten. Sie ist also Kritik am Normalen, prüft die Bedingungen der Möglichkeit jener „lichten Lande“ und gleichzeitig damit – als eine Probe aufs Exempel – die Bedingungen der Möglichkeit des „Normalen“. Und entfaltet damit ihre eigene Möglichkeit, die Wanderung in der Nacht der Erkenntnis. Sie ist damit auch auf der Suche nach den dunklen Landen im metaphorischen wie im buchstäblichen Sinne, da, wo Sehen sinnlos ist, oder besser, wo dem Nicht-Sehen sein Recht geschieht.

Siegfried Saerberg studierte Soziologie, Philosophie, Politikwissenschaften, Geschichte, Jurisprudens und Ethnologie in Köln, Konstanz und Dortmund. Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit als Autor und Lehrbeauftragter an verschiedenen Hochschulen ist er als Kurator, Sound-Künstler, Schriftsteller und Rezitator sowie als künstlerischer Leiter verschiedener kultureller Projekte tätig, darunter die Kuration der Ausstellung Art Blind für den Verein Blinde und Kunst (2013), die evaluative Studie des Kulturprojekts Inklu:city für das IBK in Remscheidt (2016) und aktuell Beratung der Bundeskunsthalle Bonn im Bereich modularer Vermittlungskonzepte inklusiver Bildung im Museum.

Ein Vortrag im Rahmen der Tagung Ansichtssachen. Über das Sehen