Lecture
Wednesday, Oct 20, 2010, 7 PM

Susan Neiman

Professorin für Philosophie, Direktorin des Einstein Forums, Potsdam

Moralische Klarheit

Gesprächsleitung: Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, München

Wer spricht heute noch von der Moral? Wollen wir Wörter wie gut, böse, Held oder Ehre hören, müssen wir nach rechts schauen. Denn andere sind längst überzeugt: Moralische Begriffe sind nicht nur verstaubt, sondern verlogen; verschleierte Herrschaftsinstrumente, um die eigene Macht zu festigen. Aus Angst vor Missbrauch werden die stärksten Begriffe, die wir haben, gerade denjenigen überlassen, die sie am ehesten missbrauchen.
In ihrem soeben auf Deutsch erschienenen Buch Moralische Klarheit plädiert Susan Neiman dafür, moralische Begriffe nicht dem konservativen Lager zu überlassen. Ausgerechnet die Bibel liefert uns Argumente, dass die Religion nicht die Quelle aller Moral ist; Abraham und Hiob sind Kronzeugen dafür, dass Werte wie Mitgefühl und Gerechtigkeitsempfinden, Mut vor Autorität und Wahrheitsliebe, älter sind als jede Religion. Die Religion kann oft ein Ausdruck der Moral, nie aber ihre Grundlage sein. Als Fundament für aktuelle Moralbegriffe sollen wir die Mittel der viel verschmähten Aufklärung ergreifen, die von den Karikaturen ihrer Kritiker wie Adorno, Horkheimer und Foucault befreit werden können. Hierbei geht es weniger um bekannte Aufklärungsbegriffe wie Toleranz oder Skeptizismus, sondern um Werte wie Glück, Vernunft, Ehrfurcht und Hoffnung. Mit Beispielen, die von der Antike bis zur gegenwärtigen Politik reichen, wird gezeigt, wie man Moralbegriffe zurückgewinnen kann.

Susan Neiman ist Direktorin des Einstein Forums in Potsdam. Bevor sie im Jahr 2000 die Leitung des Einstein Forums übernahm, war sie Professorin für Philosophie an der Yale University und der Tel Aviv University. Auf Deutsch erschienen von ihr u.a. Das Böse denken (2004) und Fremde sehen anders (2005). Das vorliegende Buch erschien 2008 unter dem Titel Moral Clarity. A Guide for Grown-Up Idealists bei Harcourt.

Julian Nida-Rümelin ist Professor für Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Nida-Rümelin war als Kulturstaatsminister Mitglied der Bundesregierung. Zuletzt erschienen von ihm u.a. Demokratie und Wahrheit (C. H. Beck 2006) und Philosophie und Lebensform (Suhrkamp 2009).