Lecture
Tuesday, Apr 22, 2003, 7:00 PM

Tomas Venclova

Lyriker, Essayist; Professor of Slavic Languages and Literatures, Yale University, New Haven

Joseph Brodsky, Anna Akhmatova: A Meeting in a Poem

Moderation: Prof. Dr. Norbert Franz, Potsdam

Als der junge Brodsky im Jahre 1961 mit 21 Jahren die um ein halbes Jahrhundert ältere Dichterkollegin kennenlernte, wusste er erst gar nicht, mit wem er es da eigentlich zu tun hatte. Eine tiefe Freundschaft verband bald den bekannten Untergrunddichter mit der berühmten Poetin. Die Anekdote weiß: Als einige junge Dichterinnen Anna Achmatowa in ihrer Datsche besuchten und behaupteten, mit “dem ganzen Brodsky” im Gepäck gereist zu sein, antwortete sie: “Das kann nicht sein; ich habe den ganzen Brodsky hier. Er ist nur mal eben Wasser holen gegangen.”

Der Einfluss der beiden Dichter aufeinander war groß. Neun Gedichte widmete Brodsky seiner verehrten Freundin, von der er sich wie ein Teil fühlte. Eines der eindrücklichsten Beispiele des Dialogs zwischen Brodsky und Achmatowa ist wahrscheinlich das Gedicht Nunc Dimittis, das als das “Achmatowischste” Gedicht Brodskys gilt. Anhand dieses und anderer Gedichte analysiert Tomas Venclova die Beziehung der beiden Dichter zueinander.

Tomas Venclova, der bedeutendste Lyriker Litauens, war sowohl mit Anna Achmatowa als auch mit Joseph Brodsky persönlich bekannt und befreundet. In den 70er Jahren engagierte er sich in der litauischen Bürgerrechtsbewegung. Als ihm 1977 die sowjetische Staatsbürgerschaft aberkannt wurde, ging er in die USA ins Exil. Auf deutsch erschien von ihm der Gedichtband Vor der Tür das Ende der Welt (2000).