Vortrag
Donnerstag, 27.6.2002, 19:00h

Doron Rabinovici

Schriftsteller, Wien

Jiddentität – Geschichten und Essays

Moderation: Prof. Dr. Dagmar Lorenz, Chicago

Seit Monaten droht der in Tel-Aviv geborene Doron R. dem in Wien lebenden D. Rabinovici damit, die Beziehungen zu ihm zu überdenken. Seitdem geht es auch in mir rund. “Wir Österreicher wählen, wen wir wollen”, sage ich mir trotzig, worauf ich mir lächelnd entgegne: “Nu, kein Problem; und wir Israeli haben eben diplomatische Kontakte, mit wem wir wollen.” Da gehe ich als nationaler Doppler, als hochprozentiges Gemisch, durch die Straßen, und fühle mich so eigen und ganz fremd. Einig sind sich meine beiden bloß, dass sie in einer schizoiden Situation leben. In einer Welt, die mit der Eindeutigkeit ethnischer Zugehörigkeit populistische Erfolge feiert, summt in mir das Stimmengewirr verschiedener Identitäten. Auch horche ich dem, was gesagt wird, in mehreren Klangwelten zu. Ich lebe im Widerhall vieler Kulturen. Bei manchen Worten kann es in mir keine Einigkeit geben. Wer etwa ist ein Neonazi? In Tel-Aviv, so weiß mein innerer Orientale, könnte als Neonazi bereits durchgehen, wer etwa die Beschäftigungspolitik lobt, die letztlich zu Auschwitz führte, oder bei einer nostalgischen Gedenkveranstaltung der Waffen-SS eine Jubelrede hält. In Österreich meint man damit einen skurrilen Wiedergänger, dessen Rechte allzeit erigieren will, der “Sieg Heil” brüllt, sich in Trachten der Vergangenheit hüllt. So einer ist ein kriminelles Wesen, das all jene nationalsozialistischen Verbrechen gutheißt, von denen es andererseits behauptet, sie hätten nie stattgefunden. Kurz und gut; Josef Goebbels wäre nicht so blöd, heute Neonazi zu sein. Der Österreicher in mir weiß zwischen einem Jörg Haider und einem Neonazi sehr wohl zu unterscheiden. Das Alpenland macht einen zum einschlägigen Experten, der die verschiedenen Schattierungen der heimischen Rechten kennt. Wen wundert‘s? Es heißt ja, die Eskimos, besser gesagt die Inuit, wie sie selbst bezeichnet sein wollen, hätten Dutzende Worte für den Schnee.