Takuma Melber
Insulares Großmachtstreben. Japan im Zeitalter des Imperialismus und der Weltkriege
Im Zeitalter des Imperialismus nahm die sogenannte Kanonenbootdiplomatie westlicher Großmächte eine zentrale Rolle in der Durchsetzung von Macht-, insbesondere Wirtschaftsinteressen in aller Welt ein: Mit einer Flottendemonstration der unter dem Kommando von US-Kommodore Matthew Perry stehenden »Black Ships« erzwangen Mitte des 19. Jahrhunderts die Vereinigten Staaten von Amerika die Öffnung Japans. Das Tokugawa Shogunat des fernöstlichen Inselstaates hatte auch und aufgrund des insularen Daseins dem Land einen isolationistischen politischen Kurs auferlegt und an diesem rigide festgehalten. Durch die von amerikanischer Seite de facto erzwungene Öffnung ging so für Japan eine jahrhundertelange Zeit selbstgewählter Landesabschottung (jap. sakoku) gegenüber der okzidentalen Außenwelt – allein schon durch insulare Grenzen sichergeglaubt – zu Ende. Was folgte, war ein sehr rapider Modernisierungsprozess Japans und all seiner gesellschaftsrelevanten Bereiche, orientiert an und wesentlich geprägt durch westliche Vorbilder, Standards und Berater.
Um die Jahrhundertwende und damit zu Zeiten des Hochimperialismus begann der nun reformierte insulare Nationalstaat selbst nach einer Großmachtstellung in Asien und Mitsprache im internationalen Konzert der globalen Kräfte zu streben. Militärische Erfolge wie der im Russisch-Japanischen Krieg (1904/05), als sich eine westliche Großmacht erstmals einer nicht-westlichen geschlagen geben musste, steigerten Japans Prestige in der Welt. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde es daher – auch in der Sicht des Westens – zu einem ernstzunehmenden Akteur in Asien, dessen territoriale Bestrebungen zu zahlreichen Aus- und Übergriffen führten. Bis zum Kriegsende 1945 hatte sich Japans Territorium und Einflusssphäre weit über die Grenzen der eigentlichen Mutterinseln hinaus vergrößert.
Welche Rolle dabei Japans Inselstatus – eher Katalysator oder bremsender Faktor im Rahmen internationaler Wettbewerbsfähigkeit – und das Denken aus »insularer Per-spektive« heraus für politische, diplomatische und auch militärische Konzeptionen von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg spielte, soll in diesem Vortrag erörtert werden.
Takuma Melber studierte Geschichte und Soziologie an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz, wo er auch promoviert wurde. Der Experte für Japanische Ge-schichte forscht und lehrt als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Studiengangskoordinator am Heidelberger Centrum für Transkulturelle Studien (HCTS). Melber war als Fachberater für die ZDF-Redaktion Zeitgeschichte (ZDF-History: Japans Krieg – in Farbe) tätig und ist Mitglied des Arbeitskreises Militärgeschichte e.V. und des Deutschen und Internationalen Komitees für die Geschichte des Zweiten Weltkriegs. Ausgewählte Veröffentlichungen: Zwischen Kollaboration und Widerstand. Die japanische Besatzung in Malaya und Singapur, 1942-1945 (2017) und Pearl Harbor. Japans Angriff und der Kriegseintritt der USA (2016, englische Fassung 2020).