Lecture
Friday, Jul 13, 2007, 2:30 PM

Matthias Kroß

In die Tiefe – aus der Tiefe

Obwohl das Lachen der thrakischen Magd über den Fall des Thales, der hartnäckig in die Höhe schaute, hätte ausreichen können, die Philosophen auf die Tücken der Tiefe aufmerken zu lassen – scheint die Abwärtsrichtung gerade für sie von saugendem Interesse zu sein. Oder liegt es an der Einsicht, dass die Erkenntnistreppe philosophischer Höherorientierung ohne Tiefe überhaupt nicht zu erklimmen ist? Das Wortfeld der „Tiefe“ hat sich denn auch immer wieder als philosophisch ergiebig erwiesen – von delischem Tauchen in die Untiefen des Heraklit (Sokrates) bis hin zum „Hinabsteigen“ in das „alte Chaos“, in dem der Denker sich wohlfühlen müsse (Wittgenstein). Der Tiefe eignet, philosophisch gefasst, daher die Attraktivität logischer Unausgeleuchtetheit. Dies qualifiziert sie einerseits zum ultimate concern oder zur Suche nach dem einem fundamentum inconcussum, aber auch zum Schatten- und Gespensterreich des Denkens. Sie selbst ist, wie die Wörter, die sie in den frühen Sprachen der abendländischen Philosophie bezeichnen (βαθος und altitudo), in ihrer Logik zumindest doppelsinnig und damit undeterminiert. Sinntiefe und Tiefsinn wir-ken ebenso auratisch wie verrätselnd: Sie fordern Bemühungen geradezu heraus, Licht in ihre Kavernen zu werfen, um sich ihres wahren Grundes zu versichern; zugleich aber bilden sie gleichsam die Katakomben des Unbegrifflichen, einen plasmatischen mundus subterraneus, aus dessen dunklem Schoß das Begriffliche hervorgeht und für den philosophischen Mäeuten erst dann greifbar wird. Die Tiefe erfüllt mit dieser ihrer „Widerstimmigkeit“ aufs Beste die Voraussetzung zur Metapher.

Matthias Kroß, geb. in Osterode am Harz. Studium der Geschichte, Politologie, Philosophie und Kunstgeschichte in Marburg, Bremen und Berlin. Tätigkeit als Publizist, Redakteur und Übersetzer. Ausbildung zum Gymnasiallehrer für Geschichte und Sozialkunde; anschließend Tätigkeit als Dozent in der Erwachsenenbildung, Referent für Öffentlichkeitsarbeit, freiberuflicher Kulturjournalist für verschiedene Medien. Promotion an der Freien Universität Berlin mit der Arbeit Klarheit als Selbstzweck. Wittgenstein über Philosophie, Religion, Ethik und Gewißheit (1993). Seit 1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Einstein Forum in Potsdam. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Kulturgeschichte und Philosophie, vor allem zur Philosophie Ludwig Wittgensteins; als Mitherausgeber: Die ungewisse Evidenz. Für eine Kulturgeschichte des Beweises, 1998; Mit Sprache spielen. Die Ordnungen und das Offene nach Wittgenstein, 1999; Wittgenstein und die Metapher, 2004; Zum Glück, 2004; Ludwig Wittgenstein. Ingenieur – Philosoph – Künstler, 2007. Er ist (zus. mit Jens Kertscher) Herausgeber der Reihe Wittgensteiniana im Berliner Parerga Verlag.