Anja Oesterhelt: Heimat und Klassenkampf. Zum Fortleben historischer Heimatkonzepte in der Gegenwart
Anja Oesterhelt
Heimat und Klassenkampf. Zum Fortleben historischer Heimatkonzepte in der Gegenwart
Anmeldung für den Vortrag auf der Tagungsseite “Heimat. Wo alles bleibt, wie es nie war”.
Heimat bedeutete im 19. Jahrhundert immer auch Zugehörigkeit zu einer Klasse. Das Heimatverständnis der Zeit erhob den heimischen Herd zum Altar und erschuf ein religiöses Surrogat der bürgerlichen Privatexistenz. Zugleich war Heimat eine Kategorie des Rechts und in diesem rechtlichen Sinn hatte nicht jeder Anspruch auf Heimat. Das bürgerliche Begriffsverständnis diente demnach auch dazu, sich nach unten und nach oben abzugrenzen – dem Adel wird Kosmopolitismus unterstellt, den Armen droht Heimatlosigkeit. Ende des 19. Jahrhunderts setzt eine positive Neuinterpretation der Heimatlosigkeit und damit die Kritik an einer bürgerlichen Kultur ein, die sich den Begriff der Heimat zu eigen gemacht hatte. Das anti-bürgerliche Denken gewinnt den Begriff der Heimatlosigkeit für sich. Dieses semantische Feld von Heimat und Heimatlosigkeit wirkt bis in die aktuellen Verwendungsweisen des Begriffs nach, wie der Vortrag anhand von Beispielen aus Literatur und Populärkultur zeigen möchte.
Anja Oesterhelt ist wissenschaftliche Mitarbeiterin für Neuere deutsche Literatur und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Ihre Forschungsinteressen richten sich auf deutsche Literaturgeschichte zwischen dem 18. Jahrhundert und der Gegenwart und dort auf die Wechselwirkungen zwischen Literatur und anderen Wissenskulturen. Monografien: Perspektive und Totaleindruck. Höhepunkt und Ende der Multiperspektivität in Christoph Martin Wielands »Aristipp« und Clemens Brentanos »Godwi« (2010, Dissertation); Geschichte der Heimat. Zur Genese ihrer Semantik in Literatur, Religion, Recht und Wissenschaft (Habilitationsschrift 2019, erscheint 2021).