Francisco Bosco
Decolonizing Brazil, Tense Multiculturalism, and Histories Unaccounted For
[Die Dekolonialisierung Brasiliens, spannungsreicher Multikulturalismus und nicht erzählte Geschichten]
Seit etwa zwei Jahrzehnten steht die brasilianische Kultur am Scheideweg: Der eine Weg weist in Richtung des (reformierten) Projekts einer „civilização mestiça“, einer politischen und sozioökonomischen Umgestaltung der brasilianischen Gesellschaft nach den Prinzipien pluralistischer Vielfalt, die, wenn auch mit gewissen Einschränkungen, das kulturelle Klima des Landes prägen. Der andere Weg führt zum Tribalismus, einem spannungsreichen Multikulturalismus, einem Gegenentwurf zur métissage als bemerkenswerter Besonderheit der brasilianischen Geschichte. Hieraus resultieren zahlreiche Fragen: Was bedeutet Dekolonisierung in Brasilien? Inwiefern ist es möglich – und wünschenswert –, Kolonisatoren und Kolonisierte mehr als fünf Jahrhunderte nach Beginn ihrer Interaktion zu trennen? Ist es wirklich angemessen, die brasilianische Geschichte und ihre ganz eigene kulturelle Utopie aus dem internationalen Diskursfeld um die Dekolonisierung auszuschließen?
Francisco Bosco ist ein brasilianischer Philosoph und Essayist, Lyriker und Komponist, der an der Bundesuniversität Rio de Janeiro in Literaturtheorie promoviert wurde. Zu seinen Publikationen zählen unter anderem O Diálogo Possível: Por uma Reconstrução do Debate Público Brasileiro (2022 [Der mögliche Dialog: Zu einer Rekonstruktion der brasilianischen öffentlichen Debatte]), und A Vítima Tem Sempre Razão? Lutas Identitárias e o Nova Espaco Publico Brasileiro (2018 [Hat das Opfer immer Recht? Identitätskämpfe und der neue brasilianische öffentliche Raum]).