Vortrag
Samstag, 1.2.2014, 15h

Malte Rolf

Bewegte Massen – bewegende Emotionen? Festplanung und Emotionsmanagement in der Sowjetunion

Ein zentrales Element des sowjetischen Propagandastaats waren die Massenfeste. Bei den aufwändigen Choreographien ging es nicht nur um Herrschaftsrepräsentationen sondern auch um Formen der emotionalen Vergemeinschaftung. Die enthusiasmierte Menge sollte sich in der Festparade ihrer eigenen kollektiven Identität bewusst werden und sich im Zustand der festlichen Begeisterung jenem utopischen Ziel annähern, das das Regime als „neuen sowjetischen Menschen“ zur Zukunftsvision erklärt hatte. Die parteistaatlichen Festplaner hatten dabei großes Vertrauen in die emotionale und transzendierende Wirkung von solchen Massenarrangements des Jubels. Sie entwickelten dabei ausgefeilte Methoden einer Emotionspolitik, die auf eine ganzheitliche Sinnesanimierung und zugleich -steuerung der bewegten Festmassen abzielte. Denn ging es den Machthabern eines autoritären Regimes immer auch darum, die Emotionalität der Beteiligten zu kontrollieren und zu disziplinieren.
Der Vortrag wird sich dieser durchaus im Widerspruch stehenden Zielsetzungen eines sowjetischen Managements festlicher Emotionen annehmen. Dabei soll es einerseits um die Techniken der der Massenemotionalisierung gehen, wobei die räumliche Dimension einer derartigen Emotionspolitik im Mittelpunkt des Interesses steht. Zugleich soll nach deren Folgewirkungen für einen gesellschaftlichen Diskurs über das Erleben von Massenchoreographien und von dort ausgelösten Gefühlen gefragt werden. Der Fokus des Beitrages liegt auf den 1920er und 30er Jahren, es sollen aber auch die Entwicklungen längerer Dauer in den Blick genommen und damit die Erosionsprozesse eines derartigen sowjetischen Fest- und Emotionsmodus thematisiert werden.

Malte Rolf studierte von 1992 bis 2000 Geschichte, Germanistik, Russisch und Soziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin, an der Universität Tübingen, an der Universität Petersburg und an der Universität Voronež. 2000 Staatsexamen in Berlin; 2004 Promotion an der Eberhard Karls Universität Tübingen mit dem Dissertationsthema: „Das sowjetische Massenfest“. 2012 Habilitation zum Thema: „Imperiale Herrschaft im Weichselland. Das Königreich Polen und das Russische Imperium (1864-1915)“. Von 2007-2011 war er Juniorprofessor für Osteuropäische Zeitgeschichte an der Leibniz Universität Hannover. 2011/12 vertrat er die Professur für Kulturgeschichte Ost- und Mitteleuropas an der Universität Bremen. 2012 wurde er Professor für Geschichte Mittel- und Osteuropas an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Ausgewählte Publikationen: Das sowjetische Massenfest (2006), engl. als Soviet Mass Festivals (2013); Grenzgänger in Vielvölkerreichen: Grenzziehungen und -überschreitungen in Russland und Österreich-Ungarn (1840-1918) (hrsg. mit Jörn Happel, 2011).