Vortrag
Freitag, 12.5.2023, 17:30h

Friederike Wißmann

Beredtes Schweigen. Richard Wagners Erzählstrategien und ihre musikwissenschaftliche Reflexion

Dass in der Musik selbst Geschichten erzählt werden, wurde in der jüngeren Forschung aus verschiedenen disziplinären Blickwinkeln und unter Einbezug weitgreifender methodischer Herangehensweisen ausführlich diskutiert. Was aber geschieht in der Musik, wenn die Sprache versagt? Im Zentrum des angesprochenen Diskurses um die Narrativität von Musik steht der Komponist Richard Wagner, der die Diskussion einer intermedialen Erzählstrategie in seinen theoretischen Schriften selbst angestoßen hat. Ausgehend von seiner musikalischen Gestaltung des Sprachverlusts der Kundry-Figur sollen zunächst solche narratologischen Konzepte analysiert werden, die Strategien der Verlagerung und Verweigerung einbegreifen. Dabei stehen semantische Konnotationen, Bedingtheiten und Transformationsprozesse im Zentrum der Betrachtung, welche sich sowohl im Werk wie auch im musikwissenschaftlichen Diskurs um Wagners Werk aufspüren lassen.

Problematisch ist die Übertragung genuin literarischer Verfahren auf die Musik im Gegensatz zu solchen Ansätzen, die dezidiert nicht auf Transformation zielen. Eine Adaption der Diskussion aus der Literaturwissenschaft ist ebenso störanfällig wie die Anwendung von Erzähltheorien auf kompositorische Verfahren. Dennoch lassen sich wechselseitig produktive Themenbereiche ausfindig machen, die gerade dann fruchtbar sind, wenn sie, ausgehend von einer interdisziplinären Fragestellung, der Spezifik des Gegenstands gerecht werden. Zu denken ist hier an Werner Wolf und dessen Einbringung von narratologischen Begriffen in die Intermedialitätsforschung. Vielversprechend erscheint, weil er weitreichende Referenzebenen zulässt, zudem die Einbeziehung des Diskurses zum Begriff »telling« (Valk, Lubkoll) sowie eine Reflexion über die Literarizität von Musik.

Friederike Wißmann ist seit 2019 Professorin für Musikwissenschaft an der Hochschule für Musik und Theater Rostock. Zuvor lehrte sie in Wien, Frankfurt am Main, Berlin, Dresden, Zürich und Bonn. Ausgewählte Publikationen: Abwechslungsreich. Rollenkonstellationen in den Opern von Georg Friedrich Händel (2023); Deutsche Musik (2017); Hanns Eisler. Komponist. Weltbürger. Revolutionär (2012); Faust im Musiktheater des 20. Jahrhunderts (2003).