Hijacking Memory: The Holocaust and the New Right, Welcome & Introduction
Who are the Nazis; who are the Jews? The Holocaust in the NOW
What Went Wrong? The Politics of Memory and the Return of the Xenophobic Right
Discussion: What Went Wrong? The Politics of Memory and the Return of the Xenophobic Right
Von der Verleugnung des Holocaust zum Bekennen. Über Rechte in KZ-Gedenkstätten und Erinnerungskultur
Desiring Victimhood: German Self-Formation and the Figure of the Jew
Discussion: Volkhard Knigge, Hannah Tzuberi
Der Holocaust und die deutschen Leitmedien nach 1945
Mit Lippenbekenntnissen dem Konsens hinterher: Wie die AfD über Holocaust, Juden und Israel spricht – und schweigt
Diskussion: Joseph Croitoru, Lutz Hachmeister
Anti-Zionism Can Be Anti-Semitic. Zionism Too
American Israels: Christian Zionism in Comparative-Historical Perspective
Hijacking Holocaust Memory as a Dehumanizing Practice
Discussion: Philip Gorski, Lewis R. Gordon
James Baldwin and the Politics of Holocaust Exceptionalism
Discussion: Baldwin, BLM, and “Black Antisemitism”
The Hidden Agenda: The Holocaust in Israel between Tragedy and Strategy
The Singularity Thesis and German National Identity
Antisemitism in History and Politics
Discussion: Omer Bartov, Omri Boehm, Avraham Burg
Palestine and Holocaust Memory Politics
Antisemitism in Britain: the Corbyn Years
Hijacked from the Centre: Holocaust Memory in Britain
Whitening of the Jews and Misuse of Holocaust Memory
Dubious Benevolence: The Holocaust and the Extreme Right in France and Italy
Discussion: David Feldman, Gilbert Achcar, Diana Pinto
Andere (Täter-)Länder, andere Sitten?
Concert Daniel Kahn & Yeva Lapsker
Appropriation of the Holocaust by the Eastern European Far Right
Illiberal Memory Politics of the Holocaust in Hungary
Empty Symbols: The Memory of the Holocaust in Fascist Russia
Discussion: Jelena Subotić, Andrea Pető, Nikolay Koposov
Russische Propaganda: Instrumentalisierung des Völkermords bei dem Angriff auf die Ukraine
The Misuse of the Holocaust and the Fluid Russian Nationalism Today
Unholy Alliance: Israel and the Far-Right in Europe
Discussion: Mykola Borovyk, Alexander Verkhovsky, Ksenia Svetlova
Hijacking Memory of the Holocaust: From Treblinka, Through Auschwitz to the Warsaw Ghetto
How the Polish Right is Rewriting the History of the Shoah
Discussion: Jan Grabowski, Konstanty Gebert
Blinded in Remembering the Present? Ask Franz




Tagung
Donnerstag, 9.6. – Sonntag, 12.6.2022
Ort: Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, Berlin-Tiergarten

Hijacking Memory
The Holocaust and the New Right

Internationale Konferenz

Konzipiert von Emily Dische-Becker, Berlin; Susan Neiman, Potsdam; Stefanie Schüler-Springorum, Berlin
mit Gilbert Achcar, London; René Aguigah, Berlin; Tareq Baconi, London; Omer Bartov, Providence; Peter Beinart, New York; Hannah Black, New York; Omri Boehm, New York; Mykola Borovyk, Frankenberg; Avrum Burg, Jerusalem; Dany Cohn-Bendit, Frankfurt am Main; Joseph Croitoru, Freiburg i.Br.; David Feldman, London; Alexander Friedman, Saarbrücken; Konstanty Gebert, Warsaw; Sander Gilman, Atlanta; Lewis Gordon, Mansfield; Jan Grabowski, Ottawa; Lutz Hachmeister, Berlin; Daniel Kahn, Hamburg; Volkhard Knigge, Jena; Nikolay Koposov, Atlanta; Yeva Lapsker, Hamburg; Hanno Loewy, Hohenems; Eva Menasse, Berlin; Andrea Pető, Budapest; Yohanan Petrovsky-Shtern, Evanston; Diana Pinto, Paris; Valentina Pisanty, Bergamo; Ben Ratskoff, Los Angeles; Susanne Rohr, Hamburg; Eran Schaerf, Berlin; Rachel Shabi, London; Jelena Subotić, Atlanta; Ksenia Svetlova, Jerusalem; Hannah Tzuberi, Berlin; Alexander Verkhovsky, Moscow; Lothar Zechlin, Duisburg

Das Gedenken an den Holocaust gilt seit vielen Jahren als wichtiges Mittel, um einem Wiedererstarken von exkludierendem Nationalismus und der Verfolgung von Minderheiten vorzubeugen. Die Erinnerung an den Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden wurde so zur Grundlage einer Politik universeller Menschenrechte. Jüngst ist jedoch eine neue Entwicklung zu beobachten: Gedenkphrasen werden von genau jenen Akteur*innen aufgesagt, die antidemokratische, xenophobe und oft antisemitische Politiken verfolgen. Zunächst zeigte sich dieser Prozess am deutlichsten in den USA unter Donald Trump, heute ist Putins Rede von der „Entnazifizierung der Ukraine“ das jüngste Beispiel. Der Prozess ist aber auch in Ungarn, Polen, Israel, England, Frankreich, Österreich und in Deutschland sichtbar. In welchem Verhältnis stehen die Ritualisierung des Holocaust-Gedenkens und der internationale Aufstieg der radikalen Rechten? Mit welchen unterschiedlichen Strategien versucht diese, das Gedenken zu kapern – und was lässt sich dem entgegensetzen?

Pressestimmen zur Tagung Hijacking Memory

Statement
by Jan Grabowski and Konstanty Gebert regarding the conference “Hijacking Memory”

Stellungnahme von Teilnehmenden zur Tagung “Hijacking Memory” in der Berliner Zeitung Online

Open letter regarding “Hijacking Memory” (English Translation)

 
Veranstaltung in englischer und deutscher Sprache mit Simultanübersetzung
German and English talks will be simultaneously translated
 
 
Die Videomitschnitte der Tagungsbeiträge können Sie ansehen, indem sie den jeweiligen Titel anklicken!

 
Programm
 

Do 9.6.2022

15h
Begrüßung & Einführung
Emily Dische-Becker, Susan Neiman, Stefanie Schüler-Springorum
Auf Deutsch und Englisch

15.30–17h
Who are the Nazis; who are the Jews? The Holocaust in the NOW
Sander L. Gilman

Ist die Aneignung des Holocaust eine spezifische Entwicklung oder verschwimmen mit der Zeit die Grenzen von allen historischen Ereignissen? Die Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit und der Gegenwart, des Zeitalters von Trump, Putin und Pandemie sprechen für eine spezifische Entwicklung. Zentral ist dabei nicht nur, wie der Holocaust umfunktioniert wird, sondern auch warum gerade jetzt und im Zusammenhang mit dem Neuerstarken von Nationalismus, Populismus und antijüdischen Stimmungen. Sind die sozialen Medien ausschlaggebend, oder lediglich ein Mittel der schnelleren Verbreitung? Der Holocaust wurde 2017 bei rechtsextremen Demonstrationen unter dem Motto „Unite the Right“ in Charlottesville in Virginia einerseits geleugnet, andererseits gab es Forderungen nach mehr Opfern. Solche sozialen Realitäten müssen nicht nur genau beobachtet, sondern auch theoretisch analysiert werden.


What Went Wrong? The Politics of Memory and the Return of the Xenophobic Right

Valentina Pisanty

Zwei Tatsachen sind unübersehbar: In den vergangenen Jahrzehnten war die Shoa im globalen Norden Gegenstand vielfältiger Erinnerungskulturen. Im gleichen Zeitraum kam es zu einem rasanten Anstieg von Intoleranz und Rassismus. In welchem Zusammenhang stehen diese beiden Tatsachen, oder gibt es keine Verbindung zwischen ihnen? Wie können Gesellschaften gegen die aktuellen ultranationalistischen und fremdenfeindlichen Entwicklungen vorgehen? Wie lässt sich das Versagen zeitgenössischer Erinnerungskulturen untersuchen? Woran scheitert das universalistische Versprechen hinter der Formel „Niemals Vergessen = Niemals Wieder“?

Vorträge mit anschließendem Gespräch, moderiert von Emily Dische-Becker
Auf Englisch

17.30h
Grußwort
Bernd Scherer
Auf Deutsch

17.45h
Wir sind alle deutsche Juden
R: Niko Apel, Drehbuch: Daniel Cohn-Bendit, Frankreich 2020, 78 min
Filmscreening, anschließend Diskussion mit Daniel Cohn-Bendit, moderiert von Susan Neiman
Auf Deutsch

„Ich bin Jude. Was bedeutet das?“, fragt sich Daniel Cohn-Bendit in diesem begegnungsreichen Film. Er bricht auf nach Israel und beginnt eine persönliche Suche nach seinem eigenen Judentum. Die Menschen und Orte, denen er auf seiner Reise begegnet, könnten unterschiedlicher kaum sein, und doch kreist die Diskussion immer um die zentrale Frage dieses Films: Was ist „Jüdische Identität“? Auf seiner Reise wird er – immer wieder von Neuem – auf sein Verhältnis zum eigenen Judentum zurückgeworfen und gezwungen, es zu überprüfen. Cohn-Bendit diskutiert mit liberalen und ultrafrommen Jüdinnen und Juden, mit einer Siedlerin in der Westbank, einem Palästinenser in Ost-Jerusalem und sogar mit einem besatzungskritischen Ex-Geheimdienstchef, der zugibt: Wäre er ein Palästinenser, würde er zu den Waffen greifen.

 

Fr. 10.6.2022

10–11.30h
Von der Verleugnung des Holocaust zum Bekennen. Über Rechte in KZ-Gedenkstätten und Erinnerungskultur

Volkhard Knigge

Erinnerung ist zu einem politischen und pädagogischen Zauberwort geworden. Wer Erinnerung sagt oder fordert, scheint automatisch die (selbst-)kritische, aufklärungs- und wahrheitsbezogene, menschenrechtlich fokussierte Auseinandersetzung mit Geschichte zu meinen, die nicht hätte passieren dürfen (Hannah Arendt). Diese normative Aufladung von Erinnerung blendet nicht nur die Entstehungsgeschichte des selbstkritischen Paradigmas nach 1945 aus und die unauflösliche Verschränkung von historischer Erinnerung und Macht. Sie ignoriert auch, wie unterschiedlich Erinnerung die Deutung von Vergangenheit und die Bestimmung von Zukunft prägen kann: So ist es nicht nur möglich, an Auschwitz im Sinne des „Nie wieder!“ zu gedenken. Es kann auch, mit identifikatorischem Rückbezug auf den Nationalsozialismus, als vorbildliche Tat erinnert werden. Prägte Holocaust-Leugnung die Haltung extrem Rechter in der Vergangenheit, finden sich heute vermehrt Hinweise auf Holocaust-Bekennen, flankiert von völkisch-autoritären Adaptionen kulturwissenschaftlicher Konzepte von Gedenken. Wie funktioniert dies und was lässt sich der Vorstellung von Erinnerung als Zauberwort entgegensetzen?
 
 
Desiring Victimhood: German Self-Formation and the Figure of the Jew
Hannah Tzuberi

Wie wurde der Status des Opfers im zeitgenössischen Umgang mit transhistorischer Gerechtigkeit und Erinnerungspolitik zu einer begehrten Ressource? Die Zuerkennung des Opferstatus wurde im Deutschland nach 1989 primär mit der Figur des Juden und der Jüdin assoziiert. Später wurde er zentral für das demokratische, kollektive Selbstbild: Das „neue Deutschland“ etablierte sich, mit Juden und Jüdinnen als zentrale Opfer, durch seine (post)nationale Institutionalisierung der Holocaust-Erinnerung als vollständig souveränes und stabiles Mitglied im Bund der zivilisierten Nationen. Welche politischen und epistemologischen Prämissen und Machtverhältnisse schafft ein Gerechtigkeitsverständnis, das die Anerkennung einer Opferrolle voraussetzt? Wenn diese Opferfigur zentral ist, wie wirken sich die Prozesse postgenozidaler Nationenbildung auf das ständige Definieren und Problematisieren von Subjekten und Lebensformen aus, die sich gegen die Opferrolle stellen?

Vorträge mit anschließender Diskussion und Q&A, moderiert von Stefanie Schüler-Springorum
Auf Deutsch und Englisch
 
 
11.30–13h
Der Holocaust und die deutschen Leitmedien nach 1945
Lutz Hachmeister

Bundesdeutsche Leitmedien haben sich selbst gern als Hüter*innen von Demokratie und Grundgesetz dargestellt – beaufsichtigt zunächst durch alliierte Presseoffizier*innen. Tabuisiert wurde dagegen ein antisemitischer Subtext in vielen Artikeln der Nachkriegszeit, der sich etwa gegen jüdische „displaced persons“ richtete. Lutz Hachmeister gibt dafür Beispiele aus Spiegel, FAZ und Süddeutscher Zeitung und beleuchtet die besondere Rolle des Springer-Verlags. Zudem wird die Rolle von NS-Seilschaften in der westdeutschen Presse nach 1945 thematisiert.
 

Mit Lippenbekenntnissen dem Konsens hinterher: Wie die AfD über Holocaust, Juden und Israel spricht – und schweigt
Joseph Croitoru

Der Diskurs der AfD hat sich zunehmend demjenigen der rechtsextremen NPD angenähert. In öffentlichen Äußerungen zu Holocaust, Israel, Jüdinnen und Juden grenzt sie sich von der NPD zwar ab, laut AfD-Aussteiger*innen werden intern aber auch ganz andere Töne angeschlagen. Öffentlich ist die AfD bei diesen Themen um eine gewisse Nähe zum allgemeinen Konsens bemüht. Der Holocaust wird nicht geleugnet, jedoch für unbedeutend erklärt. Antisemitismus wird verurteilt und Judenfreundlichkeit demonstriert, aber in eigenen Verschwörungstheorien werden einflussreiche Jüdinnen und Juden in kodierter Form als Feind*innen markiert. Der Ruf nach bedingungsloser Solidarität mit Israel dient der AfD auch zur Zementierung eines islamfeindlichen Weltbildes.

Vorträge mit anschließender Diskussion und Q&A, moderiert von Stefanie Schüler-Springorum
Auf Deutsch
 
 
14.30h
Anti-Zionism Can Be Anti-Semitic. Zionism Too

Peter Beinart und Daniel Cohn-Bendit im Gespräch
Auf Englisch

Es gibt keine zwangsläufige Verbindung zwischen Antizionismus und Antisemitismus, weder theoretisch noch empirisch. Tatsächlich legen Belege nahe, dass in den USA Zionist*innen eher antisemitische Ansichten vertreten als Antizionist*innen, sofern man einer traditionellen Auffassung von Antisemitismus folgt. Das ist wenig überraschend, denn wenn man Juden und Jüdinnen nicht in seinem Land haben will, kann es helfen, wenn sie ein separates Land haben. Und wer findet, eine vorherrschende Ethnie, Religion oder rassifizierte Gruppe solle gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen gesetzlich privilegiert sein, findet Juden und Jüdinnen im Land problematisch, da sie als Minderheit oft gegen solche gesetzlichen Diskriminierungen protestieren. Doch Israel mögendiese Menschen bewundern, weil es ein Modell für gesetzliche Verankerungen solcher Hierarchien darstellt. Das erklärt, weshalb es für viele rechtsextreme Führungspersonen nur konsequent erscheint, im eigenen Land den Antisemitismus zu befeuern und gleichzeitig Israel zu verherrlichen.
 
 
15.30–16.45h
American Israels: Christian Zionism in Comparative-Historical Perspective
Philip Gorski

Die US-amerikanische Identität war immer mit Visionen des biblischen Israels verknüpft. Heute gehört dazu auch die Unterstützung für den Staat Israel. Für viele, etwa konservative weiße Protestant*innen, sind daran auch die Erwartungen und Hoffnungen eines „Christlichen Zionismus“ gekoppelt. Das betrifft die Rolle Israels sowohl für die „biblischen Endzeiten“ als auch den weltlichen „Segen“ und Reichtum im gegenwärtigen „Diesseits“. Heute erfährt die christlich-zionistische Bewegung zunehmend Unterstützung von Schwarzen und lateinamerikanischen Evangelikalen und Pfingstkirchler*innen, und findet auch in anderen Teilen der Welt Anhänger*innen.
 

Hijacking Holocaust Memory as a Dehumanizing Practice
Lewis R. Gordon

Die politische Rechte tendiert dazu, die Vergangenheit selektiv zu betrachten als eine Ära von Ordnung und Sicherheit, was der Wahrheit nicht entspricht. Orte der Verbrechen werden als vermeintliche Belege für „Schutz“ dargestellt. Die vorsätzliche Mobilisierung von Unwahrheiten eliminiert jegliche Differenzierung und Unterscheidung. Dadurch verschieben sich die Facetten, Details und unangenehmen Wahrheiten der Holocaust-Erinnerung entweder in Richtung einer extremen Einzigartigkeit (die absolut setzt) oder einer übertriebenen Metonymie und Metapher (die trivialisieren). Beides ist entmenschlichend. Das Verständnis von Unschuld, das dadurch in liberalen, neoliberalen und neokonservativen Modellen von politischer Zugehörigkeit entsteht, basiert auf dem Gegensatz von Täter*innen und Opfern. Es lässt kaum Raum dafür, weder noch zu sein, und sieht die Möglichkeit für Unschuld nur bei jenen, die zu Schaden gekommen sind.

Vorträge mit anschließender Q&A, moderiert von Susan Neiman
Auf Englisch
 
 
17.15–18.30h
James Baldwin and the Politics of Holocaust Exceptionalism
Ben Ratskoff

Die jüngsten Debatten über heutigen Rassismus und nationale Erinnerungskulturen wurden zum Teil ausgelöst durch die globalen Bewegungen gegen das anti-Schwarze Vorgehen der Polizei. Sie stellten die historiografische Annahme in Frage, der Holocaust sei grundlegend anders als andere Formen rassifizierter Gewalt. Ebenso hinterfragten sie die Ritualisierung der Holocaust-Erinnerung. James Baldwins lange und ambivalente Auseinandersetzung mit der Rolle des Holocaust in der antirassistischen Politik der Nachkriegszeit und vor allem im Kampf gegen anti-Schwarzen Rassismus in den Vereinigten Staaten zeigt, dass dominante und institutionalisierte Formen von Holocaust-Geschichtsschreibung und -Erinnerung antirassistischen Aktivismus neutralisieren können, und dazu beitragen, den Status quo zu erhalten.

Baldwin, BLM, and “Black Antisemitism”

Der Mord an George Floyd im Mai 2020 löste mit den darauffolgenden Unruhen in den USA die größte antirassistische Bewegung seit einer Generation aus. Die polizeikritische Haltung dieser Bewegung, ihre ausgesprochene Solidarität mit palästinensischen Bewegungen und die allgemein steigende antijüdische Gewalt im letzten halben Jahrzehnt brachte ein neues Interesse an der Geschichte Schwarz-jüdischer antirassistischer Solidarität und den damit einhergehenden Spannungen mit sich. Diese komplexe Geschichte wird häufig auf eine Fantasie liberalen Triumpfs reduziert oder auf ein Trugbild des sogenannten „Schwarzen Antisemitismus“. In einem intellektuellen Milieu, das antirassistischen Bewegungen und postkolonialen Studien regelmäßig die Trivialisierung des Antisemitismus vorwirft oder Schlimmeres, kann James Baldwins weitsichtiger Essay über Antisemitismus und Rassismus von 1967 eine Quelle darstellen, um dem komplexen Verhältnis zwischen anti-Schwarzer Enteignung und Antisemitismus, anti-Schwarzsein, Weißsein und Christentum nachzuspüren. Das Schüren von Ängsten zwischen jüdischen und Schwarzen Minderheiten ist seit der Bürgerrechtsbewegung ein fester Bestandteil der amerikanischen Politik. Inzwischen wird es als Taktik auch zunehmend im deutschen Diskurs eingesetzt.

Gespräch mit Ben Ratskoff, Hannah Black, René Aguigah, moderiert von Emily Dische-Becker
Auf Englisch
 
 
18.45h
Boycott
R: Julia Bacha, Produzent*innen: Suhad Babaa, Daniel J. Chalfen, USA 2021, 70 min, englische OV mit englischen UT
Filmscreening, anschließend Diskussion mit Suhad Babaa, Peter Beinart, Lothar Zechlin
Auf Deutsch und Englisch

Als ein Verleger aus Arkansas, ein Anwalt aus Arizona und eine Logopädin aus Texas zwischen ihren Jobs und ihren politischen Überzeugungen wählen sollen, gehen sie gerichtlich dagegen vor. Die Rechtsstreitigkeiten legen einen Angriff auf die Meinungsfreiheit offen, der sich quer durch 33 US-amerikanische Staaten zieht. Boycott geht einer Gesetzgebung nach, die Einzelpersonen und Unternehmen bestraft, die Israel wegen seiner Menschenrechtslage boykottieren. Boycott ist ein juristischer Thriller rund um „zufällige Kläger*innen“ und bietet neue Perspektiven auf die weitreichenden Folgen der Anti-Boykott-Gesetzgebung. Eine inspirierende Geschichte über gewöhnliche Amerikaner*innen, die in politisch unruhigen Zeiten für das Recht auf Meinungsfreiheit aufstehen.

 
 

Sa 11.6.2022

10–12.15h
The Hidden Agenda: The Holocaust in Israel between Tragedy and Strategy
Avraham Burg

In den ersten Jahrzehnten seines Bestehens identifizierte sich der Staat Israel nicht mit dem Holocaust. Wie Tom Segev und andere Historiker*innen gezeigt haben, stand der Holocaust vielmehr im Widerspruch mit dem Bild, das der Staat vermitteln wollte: Juden und Jüdinnen waren Gestalter*innen der Geschichte und nicht ihr Gegenstand, waren Held*innen, keine Opfer. Erst später begannen bestimmte israelische Politiker*innen, den Holocaust als zentrales Beispiel für mörderischen Antisemitismus anzuführen, um jede Kritik an der Staatspolitik als antisemitisch zu diskreditieren. Der Vortrag untersucht die Geschichte der Strategien hinter diesem Prozess.
 

Holocaust Singularity and German National Identity
Omri Boehm

Um die aktuellen Kontroversen über die Einzigartigkeit des Holocaust zu verstehen, ist es notwendig die ursprüngliche Debatte aus den 1980er Jahren heranzuziehen. Entgegen der landläufigen Auffassung ging es bei dem „Historikerstreit“ nicht um die Frage nach der Einzigartigkeit des Holocaust, sondern um die Frage nach der deutschen nationalen Identität. Auschwitz als singuläres Verbrechen zu begreifen, war für Habermas et al. notwendig, um eine Rehabilitierung des deutschen Nationalbewusstseins als Ursprung für politische Normen zu verhindern. Dem setzten sie einen Verfassungspatriotismus entgegen. Boehm untersucht den BDS-Beschluss des Bundestages, das Verhältnis der Bundesregierung zum Internationalen Strafgerichtshof und den Umgang mit Amnesty International nach dem Apartheitsbericht. Er argumentiert, dass die Singularitätsthese vereinnahmt wurde, um zu verteidigen, was sie ursprünglich ablehnte: sie rehabilitiert das deutsche Nationalbewusstsein auf Kosten des Verfassungspatriotismus.
 

Antisemitism in History and Politics
Omer Bartov

Antisemitismus lässt sich nur über die Zusammenhänge zwischen seinen historischen Wurzeln und modernen Erscheinungsformungen begreifen. Weil auf antisemitische Argumente stets Gegenargumente folgten, hat der Anti-Antisemitismus eine ähnlich lange und facettenreiche Geschichte. Beide haben im Laufe der Zeit für verschiedene Menschen Unterschiedliches bedeutet, wurden wiederholt für politische Zwecke instrumentalisiert, und voneinander abhängig. Lange bevor es Antisemitismus als Begriff gab, spielten antijüdische Einstellungen eine Rolle dabei, wie Juden und Jüdinnen von anderen wahrgenommen wurden, wie sie mit der Welt interagierten und sich selbst wahrnahmen. Umgekehrt bekommt anti-antisemitische Rhetorik immer dann Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit, wenn sie die Öffentlichkeit von der realen und gegenwärtigen Gefahr des Antisemitismus überzeugen kann.

Vorträge mit anschließender Diskussion und Q&A, moderiert von Susan Neiman
Auf Englisch
 
 
13.45–15.15h
Palestine and Holocaust Memory Politics
Tareq Baconi

Der Vortrag untersucht, wie das Holocaust-Gedenken durch den Staat Israel missbraucht wird, um die Kolonisierung Palästinas zu stützen. Baconi analysiert, wie dies geschieht – auch, aber nicht nur –, indem Vorwürfe von Antisemitismus in Stellung gebracht werden; mit dem Ziel, die Bewegung für die Rechte der Palästinenser*innen zu beschädigen.
 

British Jews and the Psychodrama of the Corbyn Years
Rachel Shabi

Mitten im Wahlkampf von 2019 erklärte der britische Oberrabbiner, der damalige Labour-Chef Jeremy Corbyn habe zugelassen, dass „ein von oben gebilligtes Gift“ Wurzeln in der Partei schlage. Ephraim Mirvis, der 62 orthodoxe Synagogen Großbritanniens vertritt, kritisierte in einer seltenen Intervention in der Tagespolitik Corbyns „völlig unangemessene“ Reaktion auf die Antisemitismuskrise der Partei und forderte die Menschen auf, „mit ihrem Gewissen abzustimmen“ – mit anderen Worten: nicht Labour. Wie war es dazu gekommen? Ein Blick auf die Corbyn-Jahre und die Frage, wie Antisemitismus in der britischen Politik aussieht, zeigt: reihenweise Beschuldigungen und Ausflüchte, Eskalationen und Leugnungen. Shabi untersucht, wie diese Krise das Verständnis für Antisemitismus schwächte, die Solidarität im Kampf gegen alle Formen von Rassismus zersetzte und es dadurch schwieriger geworden ist, über das Thema Palästina zu sprechen.

Vorträge mit anschließender Diskussion und Q&A, moderiert von Daniel Levy
Auf Englisch
 
 
15.45–17.45
Hijacked from the Centre: Holocaust Memory in Britain
David Feldman

Als der Abgeordnetenrat der britischen Juden und Jüdinnen vor vierzig Jahren auf dem Parlamentsgelände ein Holocaust-Mahnmal errichten wollte, tat die britische Regierung unter Margaret Thatcher den Vorschlag gleichgültig ab. Laut Außenminister Lord Carrington hatte es nichts mit Großbritannien zu tun. Heute hingegen setzen sich sowohl die konservative Regierung, die Labour Partei als auch die Liberal Democrats dafür ein, ein Holocaust-Mahnmal neben dem Parlament zu errichten. Der Holocaust ist außerdem das einzige verpflichtende Thema im nationalen Geschichtslehrplan für Schüler*innen im Alter von 13 bis 14 Jahren. Feldmann untersucht und erklärt diesen Wandel in der Holocaust-Erinnerung: Wie kann es sein, dass in Großbritannien, wo der Antirassismus aktuell die Öffentlichkeit spaltet, der Kampf gegen den Antisemitismus die politische Klasse wie kaum etwas anderes eint?
 

Whitening of the Jews and Misuse of Holocaust Memory
Gilbert Achcar

Der Begriff „Antisemitismus“ entstand ursprünglich, um europäische Juden und Jüdinnen als „nicht-weiß“ zu markieren und stand in Bezug zur Migration osteuropäischer Juden und Jüdinnen in westliche Länder im späten 19. Jahrhundert. Während das Ende des nationalsozialistischen Regimes nach 1945 das Weiß-werden europäischer Juden und Jüdinnen begünstigte, kam es durch die antikolonialen Befreiungskämpfe und die steigende Präsenz muslimischer Menschen in westlichen Ländern zu einer Verschiebung bei Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Unterstützung dafür kam durch den zionistischen Rechtsextremismus. Diese Veränderung des westlichen Rassismus forcierte auch das Weißsein europäischer Juden und Jüdinnen, um die Holocaust-Erinnerung zu pervertieren und zu einer ideologischen Waffe in antimuslimischen Agenden zu instrumentalisieren.

 
Dubious Benevolence: The Holocaust and the Extreme Right in France and Italy
Diana Pinto

Die Welt ist heute aus den Fugen geraten. Wie lässt sich Holocaust-Gedenken begreifen, wenn es der europäische Rechtsextremismus betreibt? Worin liegt wessen Aneignung? Ist es noch sinnvoll, den Holocaust aus den politischen Perspektiven von Rechts und Links zu betrachten? Was bedeutet die jüdische (und israelische) Unterstützung dieser illiberalen Bewegungen? Italien und Frankreich sind zwei interessante Beispiele, die zeigen, wie der Rechtsextremismus einerseits typische Formen der Holocaust-Erinnerung aufgreift und gleichzeitig faschistische Vorfahren würdigt und ein rassistisches Programm umsetzt. Schockierende Vergleiche mit dem Schicksal der Jüdinnen und Juden im Zweiten Weltkrieg lesen sich wie ein Vorlauf zu Putins „anti-Nazi“-Krieg gegen die Ukraine, eine der sensibelsten Regionen in der Geschichte des Holocaust.

Vorträge, anschließend Diskussion und Q&A, moderiert von Carinne Luck
In English
 
 
18.15h
Sentiment, Seduction, Soreness: Countering the Right with Holocaust Comedy
Susanne Rohr

In ihrem Vortrag spricht Susanne Rohr über die jüngsten Entwicklungen eines hochsensiblen Genres, das der Philosoph Slavoj Žižek als „Lagerkomödie“ oder „Holocaust-Comedy“ bezeichnet hat. Welche Bedeutung hat ein grundlegender Tabubruch für die künstlerische Arbeit? Erzwingt ein anfänglicher Tabubruch ständig weitere Grenzüberschreitungen und Tabubrüche? Oder löst die Provokation eher den Wunsch nach Versöhnung und Linderung aus? Susanne Rohr bespricht diese und andere Fragen im Kontext des weltweit erstarkenden Rechtsextremismus.

Lecture followed by a Q&A, moderiert von Miriam Rürup
In English
 
 
19–20h
Andere (Täter-)Länder, andere Sitten?
Conversation with Hanno Loewy und Eva Menasse
In German

In Sachen Vergangenheitsaufarbeitung könnten die Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich kaum größer sein – im Grunde hat Österreich kollektiv erst mit der Affäre Waldheim 1986 das eigene bequeme Geschichtsbild als „erstes Opfer Hitlers“ zu hinterfragen begonnen. Was bedeutet das für die Gegenwart? Zwar holen rechtsextreme Parteien in Österreich regelmäßig bis zu 25 Prozent, dafür scheint es kaum gewaltbereite Rechtsextreme zu geben. Und wie steht das offizielle Österreich zum Nahost-Konflikt? Immerhin war Bruno Kreisky nicht nur der einzige jüdische Bundeskanzler, sondern ein dezidierter Unterstützer der Palästinenser*innen. Lange her: Heute beschwört die Wiener Politik das „christlich-jüdische Abendland“ gegen „den Islam“. Über Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den Nachbarländern diskutieren Hanno Loewy und Eva Menasse.
 
 

21h
Concert
Daniel Kahn & Yeva Lapsker

Der in Detroit geborener Troubadour bestreitet ein radikales Programm mit neuen und alten Liedern, geschmuggelt über die Grenzen von Jiddisch, Englisch, Russisch, Deutsch, Vergangenheit und Zukunft. Eine zeitgemäße Sammlung aus brüchigen Balladen, windschiefem Klezmer, Gefängnislamentos, Revolutionshymnen und apokalyptischem Blues. Das Programm wird begleitet und geziert von projizierten Bildern und Übertiteln von der Videokünstlerin und Übersetzerin Yeva Lapsker.

 
 

So 12.6.2022

10–12.45h
Appropriation of the Holocaust by the Eastern European Far Right
Jelena Subotić

Subotić nimmt das postkommunistische Osteuropa in den Blick und zeigt, wie sich osteuropäische Rechtsextreme gängiger Narrative und Bilder des Holocaust bedienen, im Wesentlichen, um zwei politische Ziele zu erreichen: Zum einen nutzen sie die Erzählungen und visuellen Narrative des Holocaust, um das Leiden von nichtjüdischen nationalen Mehrheiten in der jüngeren und ferneren Geschichte zu hervorzuheben durch Vergleiche mit dem Leiden jüdischer Menschen im Holocaust. Zum anderen sollen die Verbrechen des Kommunismus als die vorherrschenden Verbrechen des 20. Jahrhunderts verankert und dem Holocaust gleich-, wenn nicht sogar übergeordnet werden. Im Kontext globaler Politik ist die Aneignung des Holocausts ein wichtiges Mittel der politischen Legitimation für die extreme Rechte, deren öffentlicher Rückhalt auf die Verbindung von nationaler Trauer und Ressentiments baut.

 
Illiberal Memory Politics of the Holocaust in Hungary
Andrea Pető

Ungarn wurde in den letzten Jahren sowohl durch den Boulevard als auch von Qualitätsmedien als Negativbeispiel genannt, wenn es um die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg ging. Ungarn galt hier als „Nullpunkt“ eines Paradigmenwechsels in der Erinnerungspolitik, der sich etwa in Polen durch den Erlass eines berüchtigten Gesetzes durch die rechtspopulistische PiS-Regierung widerspiegelte. Dieses Gesetz kriminalisiert bestimmte historische Forschungsperspektiven. Der Paradigmenwechsel forciert auch die Nationalisierung bisher transnationaler Narrative, die Verdrängung der jüdischen Religion, Opferkonkurrenz, die Einführung von neuen Begriffen, Euphemismen, sowie Antiintellektualismus. Der Vortrag untersucht, wie diese neu etablierten Formen der Holocaust-Erinnerung von institutionell und international verankerten Akteur*innen sowie der ungarischen akademischen Gemeinschaft mitgetragen werden. Analysiert wird auch, wie sich die russische Aggression gegen die Ukraine auf dieses autoritäre Holocaust-Narrativ auswirkt.

 
Empty Symbols: The Memory of the Holocaust in Fascist Russia
Nikolay Koposov

Heute bekennen sich autoritäre Regime und populistische Parteien überwiegend zu demokratischen Werten. Man könnte das für den weltweiten Erfolg der Demokratie halten, doch sind demokratische Begriffe und Symbole in autoritären und populistischen Kontexten bei weitem keine harmlose Strategie. Denn die Prinzipien und Symbole werden zu leeren Formeln umfunktioniert. Wie entwertet Putins Propaganda die Sprache und Symbolik der demokratischen Erinnerungspolitik? Wie kommt es zu ihrer Aushöhlung und ihrem Einsatz als leere Floskeln?

Vorträge mit anschließender Diskussion und Q&A, moderiert von Mischa Gabowitsch
Auf Englisch
 
 
14.15–17h
Russische Propaganda: Instrumentalisierung des Völkermords bei dem Angriff auf Ukraine
Mykola Borovyk

Die Instrumentalisierung der Geschichte, insbesondere des Gedenkens des Zweiten Weltkriegs, ist eines der Hauptmotive der russischen Propaganda während der Herrschaft von Wladimir Putin. Verwendet werden in diesem Zusammenhang nicht nur Konzepte und Symbole, die der russischen Gesellschaft bekannt sind und bedeutsam erscheinen. Auch Konzepte, die für die westliche Erinnerungskultur von zentraler Bedeutung sind, werden instrumentalisiert. In seinem Beitrag untersucht Borovyk, wie der Begriff „Völkermord“ gegenwärtig benutzt wird, um die russische Aggression gegen die Ukraine zu rechtfertigen: Wie hat sich seine Bedeutung verändert? Welche Zielgruppen sollen damit erreicht werden?

 
The Misuse of the Holocaust and the Fluid Russian Nationalism Today
Alexander Verkhovsky

Was steht in Zeiten des Krieges zur Debatte? Verkhovsky geht zunächst auf quantitative Veränderungen der antisemitischen Äußerungen in Russland seit 2014 ein. Zweitens untersucht er, inwiefern sich die Instrumentalisierung des Holocaust durch die Staatspropaganda seit dem 24. Februar 2022 verändert hat. Drittens kommen komplexe Perspektiven auf die Strafverfolgung der Holocaustleugnung in Russlands liberalen Kreisen zur Sprache, sowie der Zusammenhang mit russischen Praxen anti-extremistischer Justiz.

 

Unholy Alliance: Israel and the Far-Right in Europe
Ksenia Svetlova

Vorträge mit anschließender Diskussion und Q&A, moderiert von Mischa Gabowitsch
Auf Deutsch und Englisch
 
 
17.30–19h
Hijacking Memory of the Holocaust: From Treblinka, Through Auschwitz to the Warsaw Ghetto
Jan Grabowski

In den letzten Jahren wurde es schleichend zur gängigen Praxis der polnischen Politik, die Geschichte des Holocaust verzerrt darzustellen. Unterstützung dafür kam von den unterschiedlichsten Institutionen. Der Versuch, die jüdische Erinnerung an die Ereignisse zu verdrängen, die jüdische Präsenz in historischen Ereignissen zu schwächen oder überhaupt zu entfernen, all das waren Aspekte dieser Politik. Heute nimmt sie in Polen verschiedene Formen an: etwa die Fokusverschiebung weg von jüdischen Opfern hin zu rechtschaffenen Nichtjuden und -jüdinnen, oder das Umfunktionieren von Orten, die an jüdisches Leid erinnern. Wie sehr die Geschichte der Shoah verfälscht und und verzerrt wird, lässt sich heute aber am deutlichsten an Orten jüdischer Erinnerung ablesen: in Treblinka, Auschwitz, oder am Gelände des ehemaligen Warschauer Ghettos.

 
How the Polish Right is Rewriting the History of the Shoah
Konstanty Gebert

Im offiziellen Polen hat sich seit 2016 die Art und Weise, wie die Shoah dargestellt wird, grundlegend verändert. Die Vorstellung polnischer Beteiligung an der Shoah wird als verleumderisch ausgeschlossen, während die Bemühungen von polnischen „Gerechten“ als ein für die Zeit typisches Verhalten der polnischen Gesellschaft beschrieben wird. Diese Darstellungen werden von enormen öffentlichen Mitteln getragen und von einflussreichen politischen Persönlichkeiten unterstützt, während Kritiker*innen akademischen und strafrechtlichen Repressionen ausgesetzt sind. Dazu kommt eine Kampagne der strikten Verweigerung, den Opfern der Shoah und ihren Nachfahr*innen Eigentum zu restituieren. Mit diesen Entwicklungen ist Geschichtsverzerrung zur offiziellen polnischen Politik geworden.

Vorträge mit anschließender Diskussion und Q&A, moderiert von Susan Neiman
Auf Englisch
 
 
19h
Blinded in Remembering the Present? Ask Franz
Eran Schaerf
Lecture Performance
Auf Englisch

Eines Tages taucht Andreas – wie Romanfiguren es so tun – in meinem Leben auf und erzählt mir vom Unterschied zwischen erinnern und gedenken. Beim Besuch einer Gedenkstätte müsse er einsehen, dass er keine Erinnerungen aus dem ehemaligen Konzentrationslager mitnehmen kann. Die Zeit sei vorbei, aber er könne auch ohne eigene Erinnerungen der Geschichte gedenken. Er scheint aus einer Zeit zu kommen, in der Erinnerung als nationalpolitische Währung noch nicht im Handel ist. Ich denke, Andreas muss Franz kennen, der über den Völkermord an den Armeniern geschrieben hat. Franz kommt aus einer anderen Zeit, das weiß ich, also borge ich mir bei Suchan ihre Uhrwerke aus, um die Multichronologie meiner Geschichte zu proben.

9.6.2022

 
Eine Gemeinschaftsveranstaltung mit dem Haus der Kulturen der Welt, Berlin, und dem Zentrum für Antisemitismusforschung, Berlin