Omri Boehm
Vernunft, Glaube, Ungehorsam. Die Opferung Isaaks und die Philosophie
Die Opferung Isaacs (Heb. Akedat Itzhak) wird häufig als ein Symbol für blinden religiösen Gehorsam betrachtet. Folgt man der jüdisch-christlichen Tradition, zeigt die Opferung, dass Gut und Böse durch den Willen Gottes bestimmt sind und dass ihre Geltung durch seinen Willen auch wieder aufgehoben werden können: Wäre ihm der Engel nicht erschienen, hätte Abraham seinen Glauben durch die Opferung seines Sohns bestätigt.
Eine Reihe von literarischen und philologischen Indizien können aber so gelesen werden, dass die Figur des Engels, die Abraham im letzten Moment an der Opferung seines Sohns hindert (vv. 11-12), eine spätere Einfügung ist. Ohne diese Figur finden wir ein Narrativ des Ungehorsams vor: Abraham opfert den Widder „an seines Sohnes statt“, ohne vorher die himmlische Erlaubnis erhalten zu haben.
Im ersten Teil seines Vortrags führt Omri Boehm die Indizien für seine Lesart vor. Der zweite Teil erörtert einige Folgen der These, dass die Opferung des Widders durch Abraham ein Akt des Ungehorsams dem absoluten Befehl Gottes gegenüber war, sowohl für die Philosophie (etwa bei Kant oder Kierkegaard) als auch in der Theologie (im Christentum und im Judentum).
Omri Boehm ist Assistant Professor für Philosophie an der New School for Social Research in New York City. Er wurde an der Yale University promoviert und nahm an Forschungsprojekten der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Universität Heidelberg teil. Sein Buch The Binding of Isaac. A Religious Model of Disobedience wurde 2007 vom Continuum Verlag veröffentlicht. Bei Oxford University Press erscheint in Kürze Kant and Spinoza.