Dieter Thomä
Totalität und Mitleid – Wie Sergej Eisenstein Richard Wagner vor dem Faschismus rettete
Im Jahre 1940, kurz vor Ende des trügerischen Hitler-Stalin-Pakts, fand im Moskauer Bolschoi-Theater eine Aufführung statt, die als Höhepunkt deutsch-sowjetischen Kulturaustauschs gedacht war: Gegeben wurde Richard Wagners Walküre in der Regie von Sergej Eisenstein. Es kam nicht zu einem faschistisch-kommunistischen Stelldichein, sondern zu einem Ereignis, das Ideologien sprengte. Dieter Thomä nimmt die Inszenierung zum Anlass, um ästhetische, ethische und politische Aspekte der Moderne einer Revision zu unterziehen. Er analysiert die Spannung zwischen der Ambition auf das Gesamtkunstwerk und der Neigung zum musikalischen Fragment sowie zum close up. Dieser Ästhetik des Individuellen korrespondiert eine Ethik des Mitleids, die Eisenstein in der Walküre entdeckt. – Der Vortrag stellt einige Ergebnisse des Buches Totalität und Mitleid vor, das im März 2006 bei Suhrkamp erscheint.
Dieter Thomä studierte in Freiburg und Berlin, volontierte an der Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg und arbeitete als Redakteur beim Sender Freies Berlin. Er lehrte in Paderborn, Rostock, New York, Berlin und Essen, war Fellow am Getty Center in Los Angeles und ist seit 2000 Professor für Philosophie an der Universität St. Gallen. Buchveröffentlichungen u.a.: Die Zeit des Selbst und die Zeit danach (1990), Eltern. Kleine Philosophie einer riskanten Lebensform (1992); Erzähle dich selbst (1998), Unter Amerikanern. Eine Lebensart wird besichtigt, Vom Glück in der Moderne (2003).