Tobias Roth
Sonne und Pest. Florentiner Anverwandlungen von De rerum natura: Angelo Poliziano und Michele Marullo
Die beiden langen Hexametergedichte Sylva in scabiem von Angelo Poliziano (1454-1494) und der Hymnus Soli von Michele Marullo (1458-1500) entstehen im Florenz des ausgehenden Quattrocento, einer Zeit, in der Lukrez und sein Gedicht De rerum natura deutliche Spuren hinterlassen haben – mit dem berühmtesten Beispiel der Primavera von Sandro Botticelli. Der Auftraggeber dieses Bildes, Lorenzo di Pierfrancesco de’ Medici, ist auch eine verbindende Figur zwischen Poliziano und Marullo, zwei Dichtern, die ansonsten nicht sonderlich viel verbunden haben dürfte. Philologische und dichterische Streitereien sind ausgiebig dokumentiert. Auf den ersten Blick könnte die beiden aber ihr Bezug auf Lukrez verbinden: Sowohl die Sylva als auch Soli sind voller lukrezischer Wendungen und Zitate. Ein zweiter Blick wird zeigen, inwiefern sich die Anverwandlung und Transformation des lukrezischen Lehrgedichtes bei Poliziano und Marullo unterscheiden, inwieweit sie ihm als ethischem und naturwissenschaftlichem Lehrer folgen, und wie stark sie mit ihm als Dichter wetteifern und ihn als literarischen Steinbruch nutzen.
Tobias Roth, geboren 1985 in München, studierte in Freiburg und Berlin und ist seit 2013 mit einem Projekt zur volkssprachigen Lyrik Giovanni Pico della Mirandolas Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Berliner SFB 644 Transformationen der Antike. Seit 2011 Herausgeber der Berliner Renaissancemitteilungen, seit 2012 im Vorstand der Internationalen Wilhelm-Müller-Gesellschaft. Seine Lyrik, Essais und Erzählprosa wurden mehrfach ausgezeichnet, u.a. 2007, 2009, 2011 von der Goethe-Gesellschaft Weimar, mit einem Stipendium des Literarischen Colloquiums Berlin (2010) und dem Wolfgang-Weyrauch-Förderpreis (2013). Ausgewählte Publikationen: Aus Waben (Gedichte 2013) und der Essay Tradition. Gänge um das Füllhorn (2013).