Lecture
Thursday, Jun 26, 2014, 11:15 AM

Gunter Gebauer

Professor für Philosophie, Freie Universität Berlin

Der Umgangskörper. Zu einem sprachphilosophisch-anthropologischen Konzept bei Wittgenstein

Wittgensteins Sprachspiel-Philosophie ist im körperlichen Handeln der Sprecher verankert. Der Körper wird als eine Vermittlungsinstanz zwischen Subjekt und Gesellschaft aufgefasst. Was ihn zu einem entscheidenden Mittler zwischen Handelndem und sozialen Strukturen (Regeln, Normen, Erwartungen, Hintergrund) macht, ist seine Formbarkeit und seine Fähigkeit zur Kooperation mit Anderen. Mit Hilfe von „Techniken des Körpers“ (M. Mauss) erwirbt der Mensch Verhaltensweisen, die den Regeln und Normen der Gesellschaft entsprechen. Wittgenstein verwendet für diesen Prozess die Formulierung des „Einstellens des Mechanismus“. Diese von ihm nicht weiter erläuterte Redewendung soll in dem Sinn gedeutet werden, dass der Mensch im Laufe seines sozialen Lernens einen „Umgangskörper“, einen „common body“ ausbildet, der ähnliche Züge wie der „common sense“ hat: Das Subjekt wird nicht nur fähig zu einem vernünftigen Handeln im Sinne seiner Gruppe, sondern es erwirbt auch die Möglichkeit, das Handeln anderer Menschen zu deuten und zu antizipieren.

Gunter Gebauer. Studium der Philosophie, Allgemeinen und vergleichenden Literaturwissenschaft, Linguistik und Sportwissenschaft an den Universitäten Kiel, Mainz und Berlin (Freie Universität und Technische Universität). Promotion im Fach Philosophie an der TU Berlin, bei Lenk und Hübner, mit einer Arbeit über die Sprachtheorie Wittgensteins (1969). Assistent von Hans Lenk am Philosophischen Institut der Technischen Universität Karlsruhe. 1975 Habilitation im Fach Philosophie mit einer Arbeit zur analytischen Theorie des Verstehens. 1978 Ruf an die Freie Universität Berlin auf die Professur für Philosophie des Sports. Zugleich Beginn der Arbeit an einer integrierten Anthropologie des Körpers, die soziologische und historische Sichtweisen, wie sie in Frankreich entwickelt worden sind, mit der deutschen Philosophischen Anthropologie verbindet. Seit 1995 Professor für Philosophie an der Freien Universität Berlin. Gastprofessuren in Frankreich (Paris und Straßburg) und Japan (Hiroshima).
Publikationen (Auswahl): Wortgebrauch, Sprachbedeutung. Beiträge zu einer Theorie der Bedeutung im Anschluß an die spätere Philosophie Ludwig Wittgensteins (1971); Der Einzelne und sein gesellschaftliches Wissen. Untersuchungen zum Symbolischen Wissen (1981); mit A. Grünewald/ R. Ohme/ L. Rentschler/ Th. Sperling/ O. Uhl: Wien – Kundmanngasse 19. Bauplanerische, morphologische und philosophische Aspekte des Wittgensteinhauses (1982); mit D. Kamper/ D. Lenzen/ H.G. Mattenklott/ K.G. Wünsche: Historische Anthropologie (1989); mit Ch. Wulf: Mimesis. Kultur – Kunst – Gesellschaft (1992; engl. 1995; franz. 2005); mit Beate Krais: Habitus (2002); Wittgensteins anthropologisches Denken (2009); Ludwig Wittgenstein. Im Fluss des Lebens und der Sprache. Ein Hörbuch (2011). Als Herausgeber: Das Laokoon-Projekt. Pläne einer semiotischen Ästhetik (1984); mit G. Hortleder: Sport – Eros – Tod (1986); mit Ch. Wulf: Praxis und Ästhetik. Neue Perspektiven im Denken Pierre Bourdieus (1993); Anthropologie (1998); mit Catherine Colliot-Thélène und Etienne François: Pierre Bourdieu: Deutsch-französische Perspektiven (2005).