9:30 AM Rainer Rother
Apatheia – Besonnenheit – Coolness. Das ABC der reduzierten Gefühle
Coolsein ist cool – nach wie vor. Wer cool ist, beeindruckt – vor allem auch dadurch, dass er sich nicht so schnell beeindrucken lässt. Wer cool ist, verliert nicht so leicht die containance, weiß seine Gefühle im Zaum zu halten, ist lässig und Herr der Regungen. Cool ist nicht zuletzt Teil einer Jugendkultur, von Marlon Brando in THE WILD ONE (1953) oder Karin Baal in DIE HALBSTARKEN (1956) bis zu Eminem. Aber auch Alain Delon und Laureen Bacall, Clint Eastwood und Faye Dunawy oder Uma Thurman und Takeshi Kitano gehören dazu.
Gleichzeitig ist cool auch uncool. Im großen historischen Rahmen kann man nämlich eine prinzipielle Aufwertung der Gefühle beobachten. Lange Zeit wurden sie vor allem negativ wahrgenommen; sie galten als Störfaktoren, die nicht nur die individuelle seelische Stabilität bedrohen, sondern vor allem auch die soziale Ordnung. Besonnenheit, die feste Lenkung der Affekte durch Vernunft, war eine der zentralen Tugenden, deren Extremfall das antike Ideal der apatheia, Zentralbegriff der stoischen Philosophie, war. Heute hat sich die Bewertung der Emotionalität in das glatte Gegenteil verkehrt. Das Böse erscheint geradezu als Folge einer Unfähigkeit zu fühlen; zumindest wird sie als gravierender Mangel empfunden. Mr. Spock aus der klassischen sechziger Jahre Serie STAR TREK erschien noch als eine Art extraterrestrischer Stoiker, der rein auf die Kraft der Rationalität setzt. Aber schon er wurde als Gegenfigur gebraucht, die in einem Wettkampf mit der Intuition und der humanisierenden Kraft der Emotionen, repräsentiert von Captain Kirk und den anderen Crew-Mitgliedern, erschien. Mr. Data aber, der Android aus der Nachfolgeserie der achtziger Jahre, STAR TREK. NEXT GENERATION, wünschte sich nichts sehnlicher, als fühlen zu können wie ein wirklicher Mensch. Die klassische Definition des Menschen als homo sapiens, als animal rationale, wird nun umgekehrt: In dem Moment, zu dem Maschinen längst besser und schneller kalkulieren können als Menschen, wird er wesentlich zu einem animal emotionale. Und diese Emotionalität garantiert dann auch den moral sense im allgemeinen. Wenn der Protagonist aus Michael Hanekes Film BENNY’S VIDEO (1992) völlig kühl und aus reiner Experimentierfreude sein Opfer mit einer Bolzenschusspistole umbringt, die Tat darüber hinaus aufnimmt und das Video dann auch noch seinen Eltern vorspielt, ist das nicht cool, sondern eine Amoralität, die aus völliger Gefühlsarmut zu entstehen scheint. Klinische Fälle von Gefühlsblindheit, die Alexithymie, werden dann auch als seelische Defizite von der Medizin erforscht.
Gibt es aber signifikante nationale und kulturelle Unterschiede? Ist cool »distinctly American« (Peter Stearns) oder sogar innerhalb des amerikanischen Kontexts Produkt einer Subkultur? Als Begriff geht es offensichtlich auf die schwarzen Sklaven aus Westafrika zurück, die mit dieser Haltung ihr Leiden auf den amerikanischen Plantagen ertragen lernten (Robert Ferris Thompson). Hat diese Art Affektmanagement vielleicht überhaupt seine Wurzeln in Afrika, und ist dann durch amerikanische Filme und Medien weltweit verbreitet worden? Wie passt das aber zu dem weit verbreiteten Bild einer besonderen Emotionalität und Affektivität solcher Kulturen? Oder hat Coolness ihren Ursprung im japanischen Samurai-Kult? Und wie reiht sich Takeshi Kitano (HANA-BI, 1997), der coolste Held Japans, in diese Genealogie ein? Inwiefern spielen auch schichten- und klassenspezifische Verhaltensweisen eine Rolle: War die öffentliche Debatte um die als zu spärlich empfundenen Gefühlsäußerungen der britischen Königsfamilie nach dem Tod von Lady Di (noch einmal kondensiert durch Helen Mirrens Darstellung in Stephen Frears’ Film THE QUEEN, 2006) nur eine Konfrontation von Tradition und Moderne oder nicht vielleicht auch Ausdruck der Krise eines gewissen aristokratischem Habitus’?
Der Workshop Apatheia – Besonnenheit – Coolness. Zum ABC der reduzierten Gefühle, den das Einstein Forum und die Deutsche Kinemathek, Museum für Film und Fernsehen, gemeinsam veranstalten, will einigen Beispielen aus der Geschichte reduzierter Gefühlsentfaltung, vor allem auch aus der Perspektive verschiedener Kulturen, nachspüren.
Teilnehmer: Judit Arokay, Heidelberg; Heike Behrend, Köln; Michael Haneke, Wien; Michael Huber, Mainz; Eva Illouz, Jerusalem; Helmut Lethen, Wien; Peter Stearns, Fairfax, Va.; Rüdiger Zill, Potsdam
Dec 7, 2007
9:45 AM Rüdiger Zill
Coole Typen. Kleine Phänomenologie reduzierten Fühlens
10:30 AM Michael Huber
Fähigkeit und Begrenzung. Neurobiologische und psychologische Gründe für emotionale Kälte und Wärme in zwischenmenschlichen Beziehungen
12 PM Helmut Lethen
Das Pathos der Kälte und seine anthropologische Fundierung
3:30 PM Eva Illouz
From Homo Economicus to Homo Communicans
3:30 PM Heike Behrend
»Coolness« in Afrika. Eine Spurenlese in afrikanischer Kunst und populärer Kultur
5 PM Peter N. Stearns
Recent Trends in American Cool
6 PM Judit Arokay
Kitano Takeshi – Aspekte der japanischen Kultur der Coolness
7:30 PM Michael Haneke
CACHÉ (2005)
Eine Gemeinschaftsveranstaltung mit der Deutschen Kinemathek, Museum für Film und Fernsehen