Susan Neiman
Widerstand der Vernunft. Ein Manifest in postfaktischen Zeiten
Die Philosophin Susan Neiman plädiert für Solidarität, eine Politik der Werte und für einen neuen Umgang mit Idealen. / „Widerstand der Vernunft. Ein Manifest in postfaktischen Zeiten“ erscheint im Ecowin Verlag.
Fake news, gezielte Falschmeldungen, Lügen und Verschwörungstheorien prägen derzeit das politische und öffentliche Leben. Sie erzeugen ein Klima aus Misstrauen, Unsicherheit und Angst, das den Rechtspopulisten in die Hände spielt. Zugleich zerstören sie eine gemeinsam geteilte Wirklichkeit, die Grundlage jeder Form von Gemeinschaft. So konstatiert die US-amerikanische Philosophin Susan Neiman zu Beginn ihres Essays „Widerstand der Vernunft. Ein Manifest in postfaktischen Zeiten“, der am 22. Mai 2017 im Ecowin Verlag erscheint. Neiman, die als Direktorin des Potsdamer Einstein Forums seit vielen Jahren in Berlin lebt, vereint darin auf knapp 80 Seiten philosophische Analyse mit politisch brisantem Pamphlet.
Ausgehend vom US-Wahlkampf und dem Schock über den Wahlsieg Donald Trumps analysiert und reflektiert Neiman die aktuelle gesellschaftspolitische Lage in den westlichen Demokratien. So viel steht für sie fest: Die fake news haben Trumps Wahlsieg lediglich begünstigt. Verantwortlich für den Erfolg rechter und rassistischer, antidemokratischer und sogenannter „Identitärer Bewegungen“ sind andere Faktoren.
Neimans Suche führt in eine noch junge, doch vergessene und verklärte Vergangenheit: in die späten 1980er Jahre, die Präsidentschaft Ronald Reagans und in die Zeit des Falls der Berliner Mauer. Damals wurden, so Neiman, die Weichen gestellt – für die grundlegende Verabschiedung der Idee des Sozialismus wie für den Anfang eines Kapitalismus, der in der Abwesenheit jeden Gegenbildes zunehmend alle Werte auf Marktwerte reduzierte.
Kämpferisch zieht Neiman ins Feld gegen Trump, den Neoliberalismus, die eigene Geschichtsvergessenheit, aber auch gegen postmoderne und postkoloniale Theoriebildung. Denn die postmodernen Theoretiker, auf die sich etwa auch Breitbart News in ihrer Unternehmensstrategie beziehen, haben in Neimans Augen jene Kultur des Misstrauens gefördert, auf die Populisten heute ihre Erfolge aufbauen. Und die postkolonialen Theorien haben einen Partikularismus begünstigt, auf den sich heute auch sogenannte „Identitäre Bewegungen“ stützen.
Dem entgegen argumentiert die US-Philosophin für eine Rehabilitierung aufklärerischer Konzepte des Universalismus, der Wahrheit und der kantischen Idee von Idealen. Statt einer Politik der Angst fordert Neiman eine Politik der Werte. Gegen das Gebot der Toleranz plädiert sie für Solidarität und für eine öffentliche Auseinandersetzung über unseren Umgang mit Idealen. Europa könnte dabei eine Schlüsselrolle spielen und Trumps Wahlsieg hierfür ein Katalysator sein: „Wird Trumps Sieg Europa dazu bringen, seine eigenen Tugenden neu schätzen zu lernen und auch viele Europäer dazu bewegen, sich zivilgesellschaftlich zu engagieren?“
Die Philosophin Susan Neiman ist Direktorin des Einstein Forums in Potsdam. 1955 in einer jüdischen Familie in Atlanta, USA geboren, verließ sie mit 14 die Schule, engagierte sich in der Anti-Vietnamkrieg-Bewegung und studierte Philosophie in Harvard und an die FU-Berlin. Sie war Professorin an der Yale University und der Universität von Tel Aviv mit den Schwerpunkten Moralphilosophie und politische Philosophie. Auf Deutsch erschien von ihr bisher Das Böse denken (2004), Fremde sehen anders (2005), Moralische Klarheit (2010) Warum erwachsen werden? (2015) sowie zahlreiche Aufsätze und Zeitungsbeiträge.