Werner Rammert
Die Illusion autonomer Aktion und die Realität verteilten Handelns
Die Idee autonomen Handelns wurde in ihrer kurzen Geschichte seit der Aufklärung schon mehrmals als Illusion hingestellt: Man denke an Darwin, Marx, Durkheim, Freud oder Luhmann. Trotzdem hat sie sich als nützliche Fiktion in Politik, Recht, Wirtschaft und Alltag lange erhalten. Daran werden wohl auch die gegenwärtigen Herausforderungen durch Gehirn- und Genforschung so schnell nichts ändern. Gilt das auch für das stolze Verhältnis von menschlichem Handeln zu simplem technischen Funktionieren? Im Vortrag wird untersucht, wie angesichts der Agententechnologien in der Verteilten Künstlichen Intelligenz und dem Internet der kommunizierenden Dinge die Grenzen und Grade autonomen Handelns zwischen Mensch und Technik neu gezogen werden. Es wird das Konzept einer distributed agency vorgestellt, mit dem sich die jeweiligen Niveaus und Verteilungen von Handlungsträgerschaft in hybriden Konstellationen bei Tieren, Techniken und Menschen beobachten und beurteilen lassen.
Werner Rammert studierte von 1969 bis 1973 Sozialwissenschaften, Betriebswirtschaftslehre und Soziologie an den Universitäten in Bochum, Bielefeld und der Northwestern University, Illinois. Von 1975 bis 1978 war er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Soziologischen Forschungsinstitut (SOFI) in Göttingen im Bereich Industrie- und Arbeitssoziologie tätig. Danach arbeitete er bis 1984 als Lehrbeauftragter an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld. Dort war er Mitbegründer und geschäftsführender Direktor des Forschungszentrums Zukunft der Arbeit. 1981 Promotion mit einer Dissertation zum Thema Social Dynamics of Technological Development; 1988 Habilitation im Fach Soziologie mit dem Thema Eine soziologische Perspektive auf Technologie. 1993–1999 Professor für Soziologie an der Freien Universität Berlin; seit 1999 Professor für Soziologie und Technikforschung an der Technischen Universität Berlin. Er ist seit 1982 Mitherausgeber des Jahrbuches Technik und Gesellschaft. Von 1984 bis 1990 war er geschäftsführender Herausgeber der Zeitschrift für Soziologie. Von 1992 bis 1997 leitete er als Vorsitzender die Sektion Wissenschafts- und Technikforschung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. 1999 Mitgründer des DFG-Forschungsprogramms Sozionik. Er ist Sprecher des interdisziplinären Forschungszentrums Technik und Gesellschaft an der TU Berlin. Veröffentlichungen u.a.: Technik – Handeln – Wissen (2007); Mit-Autor: Technografie. Zur Mikrosoziologie der Technik (2006); Mit-Autor: Können Maschinen handeln? Soziologische Beiträge zum Verhältnis von Mensch und Technik (2002); Mit-Hg.: Kollektive Identitäten und kulturelle Innovationen. Ethnologische, soziologische und historische Studien (2001); Technik aus soziologischer Perspektive. 1. Forschungsstand, Theorieansätze, Fallbeispiele; ein Überblick (1993); 2. Kultur – Innovation – Virtualität (2000).