Beate Söntgen
Auftritte vor dem Bild. Die Leidenschaft der Kunstbetrachtung in der Moderne
Moderne Kunstbetrachtung gilt als Akt der Reflexion. Statt wie im Barock die Sinne zu überwältigen oder heftige Leidenschaften zu erregen, soll Kunst seit der Mitte des 18. Jahrhunderts den Betrachter in nüchterne Distanz und letzten Endes zu sich selbst bringen. Lessing zum Beispiel warnt vor affektiver Ansteckung des Betrachters durch die Darstellung von Leidenschaften. Auch Diderot errichtet eine imaginäre vierte Wand, um die Zuschauer vom Bühnenraum abzuspalten. Gerade Diderot ist aber derjenige, der kühle Beobachtung und leidenschaftliche Betrachtung nicht wertend voneinander abgrenzt, sondern in ein produktives Verhältnis setzt. Ausgehend von Diderots Kunstkritik, fragt der Vortrag nach dem Fortwirken barocker Praktiken der Affektübertragung in der Moderne.
Beate Söntgen, geb. 1963. Studium der Kunstgeschichte, Philosophie und Neueren Deutschen Literatur in Marburg und Berlin. Promotion 1996 an der Freien Universität Berlin. 1998-2003 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kunstgeschichte der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig; 2002-03 Laurenz-Professorin für Gegenwartskunst an der Universität Basel. Seit 2003 Professorin an der Ruhr-Universität Bochum. Ausgewählte Publikationen: “Sehen ist alles”. Wilhelm Leibl und die Wahrnehmung des Realismus, München 2000; (hg. mit Geraldine Spiekermann): Tränen, München 2008; (hg. mit Hannes Böhringer und Helga Grebing): Wilhelm Worringer. Schriften, 2 Bde., München 2004.