Fabienne Liptay
Face to Face. Beobachtungen am Zuschauer in Abbas Kiarostamis Shirin
113 Frauengesichter in Großaufnahmen und in diesen Gesichtern ein Spektrum der Gefühle. Die meisten sind namhafte iranische Schauspielerinnen, zwischen ihnen eine verschleierte Juliette Binoche. Sie scheinen einen Film im Kino zu sehen, der uns, den Zuschauern, verborgen bleibt, 90 Minuten lang, während wir immer nur in ihre Gesichter blicken. Abbas Kiarostami wollte Shirin als seinen letzten Film verstanden wissen, als Einlösung dessen, was er einmal in einer Rede auf das Kino, anlässlich seines hundertjährigen Jubiläums, gefordert hatte: dass es in Zukunft von Zuschauern, nicht von Regisseuren gemacht werde. Der Vortrag nimmt dieses Experiment einer Übersetzung des Film in die Exploration seiner eigenen Bedingungsmöglichkeiten zum Anlass, um nach dem gegenwärtigen Status des Kinos zu fragen – nicht als einem Ort, an dem Filme geschaut werden, sondern als eine Konfiguration des Zuschauens selbst.
Fabienne Liptay ist Vertretungsprofessorin für Filmwissenschaft an der LMU München. Sie studierte Filmwissenschaft, Theaterwissenschaft und Anglistik in Mainz und war von 2007 bis 2013 Juniorprofessorin für Filmgeschichte an der LMU München. In ihrer Forschung befasst sie sich vor allem mit Bild- und Erzähltheorien des Films sowie mit den historischen und aktuellen Wechselbeziehungen zwischen den visuellen Künsten und Medien. Gemeinsam mit Michaela Krützen und Johannes Wende gibt sie die Zeitschrift Film-Konzepte heraus. Aktuelle Publikationen: Michael Ballhaus (2013); Filmgenres: Historien- und Kostümfilm (2013, hg. mit Matthias Bauer); FilmKunst. Studien an den Grenzen der Künste und Medien (2011, hg. mit Henry Keazor und Susanne Marschall).