Erika Milam
Creatures of Cain. Evolution, Aggression, and the Search for Human Nature
Die 1960er Jahre der US-amerikanischen Geschichte sind geprägt vom Kampf um Bürgerrechte und dem eskalierenden Vietnamkrieg, ganz zu schweigen von der ständigen atomaren Bedrohung. Vor diesem Hintergrund schien sich das Aggressionspotential der Menschen von dem aller anderen Tiere zu unterschei-den. Nur Menschen seien in der Lage, Mitglieder der eigenen Spezies umzubringen, nur Menschen seien Killer-Affen. Wissenschaftler vermuteten, die Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs seien keine Ausnahmen gewesen, sondern in der Natur des Menschen verankert. In den 1970er Jahren war es bereits gang und gäbe, eine universelle menschliche Natur evolutionsgeschichtlich aus einem aggressiven Wettbewerb innerhalb gemeinsamer Kulturen, Gemeinschaften oder sogar Familien herzuleiten.
Anhand mehrerer aufsehenerregender Geschichten aus dem Sommer 1975 wird der Vortrag aufzeigen, wie zu dieser Zeit eine Kontinuität zwischen menschlicher Gewalt und der Gewalt im Tierreich hergestellt wurde. Aus Jane Goodalls Forschungszentrum im Gombe-Nationalpark wurden im besagten Sommer vier Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Stanford University entführt. Weiterhin wurden zu dieser Zeit sowohl männliche als auch weibliche Schimpansen dabei beobachtet, wie sie Mitglieder ihrer eigenen Spezies töteten. Die überlappenden Erzählungen zur Gewalt von Menschen und Schimpansen hatten politische, territoriale und psychologische Stränge. Im Anschluss an diese Episoden erschien es nicht mehr möglich, die Fähigkeit zur gegenseitigen Tötung als Alleinstellungsmerkmal des Menschen zu sehen. Anhand dieser Geschichten zeigt der Vortrag die Gender-Dimensionen der damals verbreiteten Sichtweisen auf Gewalt in der Natur auf. Er zeichnet aber auch die wachsende Skepsis der Sozialwissenschaften nach, aus der Erforschung von Gewalt im Tierreich praktische Schlüsse zur Reduzierung menschlicher Gewalt ziehen zu können.
Erika Milam studierte Geschichte mit dem Schwerpunkt Evolutionstheorie. Milam ist Associate Professor of History an der Princeton University. Nach einem postdoctoral fellowship am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin, unterrichtete sie an der University of Maryland. Zuletzt erschienen ist Looking for a Few Good Males: Female Choice in Evolutionary Biology (2010) und Scientific Masculinities (2015).
Martin von Koppenfels ist Professor am Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München.