Joachim Kurtz
Decolonizing Hong Kong: Competing Adaptations of a Global Paradigm
[Die Dekolonialisierung Hongkongs: Konkurrierende Adaptionen eines globalen Paradigmas]
Postkoloniale und dekoloniale Ansätze haben in den sinophonen Diskursen eine komplizierte Geschichte. Den unterschiedlichen kolonialen Einflüssen in der Volksrepublik China, in Taiwan und Hongkong entsprechend, wurden dekoloniale Tropen für vielfältige und manchmal unvereinbare Zwecke mobilisiert. Der Beitrag beginnt mit einem kurzen Rückblick auf frühere Adaptionen, die dem „Sinologismus“ – einer chinaspezifischen Form des Orientalismus – entgegenwirken und „Asien als Methode“ in Studien zu globalen Konstellationen propagieren sollten. Im Anschluss werden die jüngsten Forderungen nach einer Dekolonisierung Hongkongs untersucht, in denen die ideologische Formbarkeit des Paradigmas klar zu Tage tritt. Auf verschiedenen Ebenen werden dekoloniale Theoreme im heutigen Hongkong nicht nur eingesetzt, um strukturelle Ungleichheiten zu kritisieren und Forderungen nach sozialer und epistemischer Gerechtigkeit zu verstärken, sondern auch, um abweichende Meinungen zum Schweigen zu bringen und Widerstand zu unterdrücken.
Joachim Kurtz ist Professor für Wissensgeschichte an der Universität Heidelberg. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf dem kulturellen Austausch zwischen China, Japan und Europa, mit besonderem Augenmerk auf Philosophie, Logik und politischer Theorie. Er ist derzeit Co-Sprecher des Graduiertenkollegs Ambivalente Feindschaft: Dynamiken des Antagonismus in Asien, Europa und dem Nahen Osten. Er hat zahlreiche Publikationen zu asiatischen Diskursen der Selbstbehauptung, chinesischen Spiegelungen des europäischen Nationalismus und dem Aufstieg des konfuzianischen Revivalismus veröffentlicht.