J. Olaf Kleist
Formen des Gedenkens: Von Heimatvertriebenen zu syrischen Flüchtlingen
Deutsche Heimatvertriebene begannen ab den 1950er Jahren, durch Gedenktage und Ausstellungen in Westdeutschland nicht nur ihre Herkunft und Zugehörigkeit, sondern auch ihre Forderung nach Rückkehr und ihre Besitzansprüche zu untermauern. Damit betonten sie im Kontext einer oft schwierigen Aufnahme in der Bundesrepublik immer zugleich ihr „ethnisches“ Deutschsein und grenzten sich explizit von nichtdeutschen Migrant*innen und Flüchtlingen ab. Dieses Gedenken wurde jahrzehntelang von der Bundesregierung unterstützt. Umso erstaunlicher wirkten 2015 neue Gedenkpraktiken von Heimatvertriebenen, etwa in der Form von öffentlichen Installationen, in denen ihre Erfahrungen mit jenen syrischer Flüchtlinge in Verbindung gesetzt wurden und damit für die Aufnahme der neuen Vertriebenen geworben wurde. Auch die Bundesregierung legte 2015 den Gedenktag an deutsche und nicht-deutsche Geflüchtete offiziell zusammen. Wie konnte es zu einer derart dramatischen Neuausrichtung des Gedenkens an die Flucht der Heimatvertriebenen kommen? Nach dem Ende des Kalten Krieges und mit Änderungen im Staatsbürgerschaftsverständnis der Bundesrepublik verschoben sich die Formen des Gedenkens von einer kulturellen zu einer zivilen Interpretation der implizierten Zugehörigkeit. So wurde nicht nur eine Öffnung für Nichtdeutsche möglich, sondern auch die Relevanz des Gedenkens der Heimatvertriebenen aufrechterhalten.
J. Olaf Kleist ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück mit dem Schwerpunkt Flucht- und Flüchtlingsforschung sowie Erinnerungsforschung. Zuvor war er DFG Research Fellow am Refugee Studies Centre der University of Oxford. Zu seinen Publikationen gehören Political Memories and Migration: Belonging, Society, and Australia Day (2016); The History of Refugee Protection (Hrsg.,Themenheft des Journal of Refugee Studies 30, Heft 2, 2017) und History, Memory, and Migration: Perceptions of the Past and the Politics of Incorporation (Hrsg., mit Irial Glynn, 2012).